Schneller als der Tod
Ruhestand. Wenn ich nochmal einen neuen Wohnsitz bekomme, darf ich wahrscheinlich in Nebraska Hydranten anmalen. Als Arzt werde ich bestimmt nicht mehr beschäftigt.
Natürlich könnte ich abhauen,
ohne
mir einen neuen Wohnsitz geben zu lassen. Die Teilnahme am Zeugenschutzprogramm ist ganz freiwillig. Und wenn man etwas tut, das WITSEC nicht passt, wird man rausgeworfen und nicht selten dabei »versehentlich« verpfiffen. Um aber meinen Namen und damit meinen Dr. zu behalten, müsste ich eine Ecke finden, die so abgelegen wäre, dass die Mafia mir noch nicht mal eine Bombe
schicken
könnte. Und noch im hinterletzten Winkel gelten erstaunlich strenge Zulassungsbestimmungen. Man muss zum Beispiel sagen, wer man ist.
Nein, wenn ich dieses Krankenhaus verlasse, ist es für mich wohl ein für alle Mal aus mit der Medizin.
Bei dem Gedanken wird mir schwindlig. Ich sause rauf in Arschmanns Zimmer.
Als ich am Stationszimmer vorbeikomme, ruft die jamaikanische Stationsschwester: »Dokteer.«
»Ja, Ma'am«, sage ich. Die alte Irin schläft auf ihrer Computertastatur und besabbert den linken unteren Bereich.
»Hier ruft immer wieder eine Frau für Sie an. Hat eine Nummer hinterlassen«, sagt die Jamaikanerin.
»Wie lange hat sie's versucht?«
»Mehrere Stunden.«
Dann ging das vermutlich in Ordnung. »Geben Sie mir bitte die Nummer?«, sage ich.
Sie schiebt sie mir über den Tisch, geschrieben auf einen Rezeptblock.
»Danke«, sage ich. »Passen Sie auf, dass Ihre Freundin keinen gewischt bekommt.«
Sie guckt böse und hält das rausgezogene Kabel der Tastatur hoch. »Wir sind doch ein Krankenhaus«, sagt sie.
Ich rufe an. Eine Frau sagt: »Hallo?« Im Hintergrund Verkehrslärm.
»Hier ist Dr. Brown«, sage ich.
»Sind Sie der Arzt von Paul Villanova?«
»Ja, Ma'am.«
»Er ist von einem Flugnager gebissen worden.« »Wie meinen Sie das?«
Ich höre das Rasseln, das heutzutage nur noch ertönt, wenn ein Münztelefon eingehängt wird.
Ich betrete Arschmanns Zimmer. »Wie geht's Ihnen?«, frage ich ihn.
»Sie können mich mal«, sagt er. Ich fasse ihm an die Stirn. Er glüht immer noch. Das macht mir ein etwas schlechtes Gewissen, weil mein Unterarm kaum noch weh tut und ich auch die Finger wieder bewegen kann.
»Sind Sie mal von einer Fledermaus gebissen worden?«, frage ich. Nicht, dass eine Fledermaus ein Nager wäre - sie ist ein Handflügler. Aber manchmal muss man sich an die Stelle des gemeinen Mannes versetzen, um richtig Medizin zu praktizieren.
Außerdem wird niemand von einem Flughörnchen gebissen.
»Nein«, sagt Arschmann.
Ich warte darauf, dass er etwas weniger Eindeutiges nachschiebt, aber das tut er nicht. Er hält nur die Augen geschlossen und schwitzt.
»Noch nie?«
Da schlägt er immerhin die Augen auf. »Haben Sie was am Kopf?«
»Ganz sicher?«
»Ja, ich glaube, daran würde ich mich erinnern.« »Wieso? Sie wissen ja noch nicht mal die letzten vier Präsidenten.«
Er rasselt sie runter.
»Oder was für einen Wochentag wir haben.« »Donnerstag«, sagt er.
Im Kopf ist er also wenigstens klar. Was ich von mir nicht behaupten kann.
»Sind Sie verheiratet?«, frage ich.
»Nein. Den Ring trage ich, damit sich in der U-Bahn keine Supermodels an mir reiben.« »Wo ist Ihre Frau?«
»Verdammt, woher soll ich das wissen?« »Ist sie im Krankenhaus?« »Meinen Sie, als Patientin?«
»Hören Sie doch mal mit der Klugscheißerei auf«, sage ich zu ihm.
Er schließt die Augen und lächelt trotz der Schmerzen. »Sie steckt hier irgendwo«, sagt er.
Ich ziehe den Vorhang auf und schaue nach Mr Mosby. Die Handgurte hat er aufbekommen, die Gurte an den Füßen hat er aus Höflichkeit in Ruhe gelassen. Er schläft. Ich fühle den Puls an seinen Fußgelenken und gehe.
Ich kritzele »DD Fledermausbiss laut Ehefrau«*
(»DD« heißt »Differentialdiagnose« und bedeutet »Macht ihr weiter.« stand der Reinheit. So oder so wird »Dr. Peter Brown« nicht mehr lange genug existieren, um verklagt zu werden oder auch nur die Laborwerte zu prüfen. Ich kann einfach Arzt sein und brauche nur das zu tun, was wirklich unmittelbar notwendig ist.)
auf Arschmanns Krankenblatt und beende die Notiz mit zwei waagerechten Strichen und einem diagonalen. Ich unterschreibe sie noch nicht mal.
Oder wozu ich Lust habe. Ich prüfe die Laufgeschwindigkeit von ein paar chemotherapeutischen Infusionen und verbringe ganze dreißig Sekunden damit, den Verband des Mädchens zu richten, dem der halbe Kopf
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