Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)
Fällen auftritt«, wird die Schwelle begründeter Zweifel viel eher überwinden. 9 Die Geschworenen, die diese Worte hören, werden aufgefordert, das Bild des Mannes zu erzeugen, der vor ihnen im Gerichtssaal sitzt und wegen eines fehlerhaften DNA-Beweises verurteilt wird. Der Staatsanwalt wird selbstverständlich die abstraktere Formulierung vorziehen – in der Hoffnung, die Köpfe der Juroren mit Dezimalpunkten zu füllen.
Entscheidungen auf der Basis globaler Eindrücke
Die Studiendaten legen die Hypothese nahe, dass die fokale Aufmerksamkeit und die Auffälligkeit (Salienz) sowohl zur Überschätzung unwahrscheinlicher Ereignisse als auch zur Übergewichtung unwahrscheinlicher Ergebnisse beitragen. Die Auffälligkeit wird durch die bloße Erwähnung eines Ereignisses, seine Anschaulichkeit und das Format, in dem die Wahrscheinlichkeit beschrieben wird, verstärkt. Es gibt natürlich Ausnahmen, bei denen die Fokussierung auf ein Ereignis seine Wahrscheinlichkeit nicht erhöht: Fälle, in denen eine fehlerhafte Theorie ein Ereignis auch dann als unmöglich erscheinen lässt, wenn man darüber nachdenkt, oder Fälle, in denen einen die Unfähigkeit, sich vorzustellen, wie ein Ergebnis zustande kommen könnte, in der Überzeugung wiegt, dass es sich nicht ereignen wird. Die Neigung zur Überschätzung und Übergewichtung auffälliger Ereignisse ist keine absolute Regel, aber sie ist ausgeprägt und robust.
In den letzten Jahren interessierte man sich sehr für Studien über Wahlen auf Erfahrungsgrundlage, die anderen Regeln folgen als Wahlen auf Beschreibungsgrundlage, die in der Neuen Erwartungstheorie analysiert werden. 10 Teilnehmer an einem typischen Experiment haben zwei Tasten vor sich. Jede Taste gibt, wenn man sie drückt, eine Geldbelohnung oder nichts frei, und das Ergebnis kommt zufällig zustande, laut den Spezifikationen einer Lotterie (zum Beispiel »eine 5-prozentige Chance, 12 Dollar zu gewinnen«, oder »eine 95-prozentige Chance, 1 Dollar zu gewinnen«). Der Prozess ist wirklich zufallsabhängig, sodass es keine Garantie dafür gibt, dass eine Stichprobe, die ein Teilnehmer
sieht, exakt den statistischen Randbedingungen entspricht. Die mit den beiden Tasten verbundenen Erwartungswerte sind ungefähr gleich, aber einer ist riskanter (variabler) als der andere. (So mag zum Beispiel das Drücken einer Taste in 5 Prozent der Versuchsdurchgänge 10 Dollar erbringen, während das Drücken der anderen in 50 Prozent der Durchgänge 1 Dollar erbringt). Bei Wahlen auf Erfahrungsgrundlage durchläuft der Proband viele Versuche, in denen er die Folgen des Drückens der einen oder der anderen Taste beobachten kann. Bei dem entscheidenden Durchgang wählt er eine der beiden Tasten und bekommt das Ergebnis dieses Versuchs. Bei einer Wahl auf Beschreibungsgrundlage wird dem Probanden die riskante Gewinnaussicht, die mit jeder Taste verbunden ist (wie etwa »mit 5-prozentiger Chance 12 Dollar gewinnen«) gezeigt, und er wird aufgefordert, eine auszuwählen. Wie nach der Neuen Erwartungstheorie zu erwarten, geht die Wahl auf Beschreibungsgrundlage mit einem Möglichkeitseffekt einher – seltene Ergebnisse werden im Verhältnis zu ihrer Wahrscheinlichkeit übergewichtet. In scharfem Gegensatz dazu wird die Übergewichtung bei erfahrungsbasierten Wahlen nicht beobachtet, und die Untergewichtung ist weit verbreitet.
Die experimentelle Situation von Wahlen auf Erfahrungsgrundlage soll viele Situationen repräsentieren, in denen wir variablen Ergebnissen von derselben Quelle ausgesetzt sind. Ein Restaurant, das für gewöhnlich gut ist, mag hin und wieder ein vorzügliches oder ein miserables Gericht servieren. Ihr Freund ist in der Regel gute Gesellschaft, aber manchmal wird er launisch und aggressiv. Kalifornien ist eine erdbebengefährdete Region, tatsächlich kommt es dort jedoch nur selten zu Erdbeben. Die Ergebnisse vieler Experimente deuten darauf hin, dass seltene Ereignisse nicht übergewichtet sind, wenn wir Entscheidungen treffen wie etwa die Wahl eines Restaurants oder das Sichern des Heizkessels, um Erdbebenschäden zu verringern.
Die Interpretation von Wahlen auf Erfahrungsgrundlage ist noch nicht abgeschlossen, aber es besteht allgemeine Einigkeit über eine Hauptursache der Untergewichtung seltener Ereignisse sowohl bei Experimenten als auch in der Wirklichkeit: Viele Teilnehmer erleben das seltene Ereignis nicht! 11 Die meisten Kalifornier haben nie ein größeres Erdbeben erlebt, und bis 2007
Weitere Kostenlose Bücher