Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)
hatte kein Banker persönlich eine verheerende Finanzkrise durchgemacht. Ralph Hertwig und Ido Erev schreiben: »Wahrscheinlichkeiten seltener Ereignisse (wie etwa das Platzen von Immobilienblasen) werden nicht so stark beachtet, wie sie es nach ihren objektiven Wahrscheinlichkeiten verdienen würden.« 12 Als Beispiel führen sie die verhaltene Reaktion der Bevölkerung auf langfristige Umweltgefahren an.
Diese Beispiele der Vernachlässigung sind bedeutsam und leicht erklärbar, aber es kommt auch dann zu Untergewichtung, wenn Menschen das seltene Ereignis selbst erlebt haben. Angenommen, Sie haben eine komplizierte Frage, die zwei Kollegen auf derselben Etage wahrscheinlich beantworten könnten. Sie kennen sie seit Jahren und hatten viele Gelegenheiten, sie zu beobachten und ihren Charakter zu erleben. Adele ist ziemlich beständig und im Allgemeinen hilfsbereit, wenn auch nicht in einem außerordentlichen Maße. Brian ist in der Regel nicht ganz so freundlich und hilfsbereit wie Adele, aber manchmal ist er äußerst großzügig mit seiner Zeit und seinem Rat. An wen wenden Sie sich?
Betrachten Sie zwei mögliche Sichtweisen dieser Entscheidung:
– Es ist eine Wahl zwischen zwei Glücksspielen. Adele ist eher eine sichere Sache; die Option Brian wird eher ein leicht schlechteres Ergebnis bringen, mit einer geringen Wahrscheinlichkeit eines sehr guten Ergebnisses. Das seltene Ereignis wird durch einen Möglichkeitseffekt übergewichtet, der Brian begünstigt.
– Es ist eine Wahl zwischen Ihren globalen Eindrücken von Adele und Brian. Die positiven und die negativen Erfahrungen, die Sie hatten, werden in Ihrer Repräsentation ihres normalen Verhaltens zusammengefasst. Sofern das seltene Ereignis nicht so extrem ist, dass es Ihnen gesondert einfällt (Brian hat einmal einen Kollegen, der ihn um Hilfe bat, übel beschimpft), wird die Norm zugunsten typischer und neuerer Erfahrungen verzerrt sein und Adele begünstigen.
In einem Zwei-Systeme-Intellekt erscheint die zweite Interpretation weitaus plausibler. System 1 erzeugt globale Repräsentationen von Adele und Brian, zu denen eine emotionale Einstellung und eine Tendenz zur Annäherung oder Vermeidung gehört. Man muss lediglich diese Tendenzen vergleichen, um herauszufinden, an welche Tür Sie klopfen werden. Wenn Ihnen das seltene Ereignis nicht explizit einfällt, wird es nicht übergewichtet werden. Dieselbe Idee lässt sich leicht auf Experimente über Wahlen auf Erfahrungsgrundlage anwenden. In dem Maße, wie die beiden Tasten im Zeitablauf Ergebnisse liefern, entwickeln sie integrierte »Persönlichkeiten«, die mit emotionalen Reaktionen verknüpft werden.
Die Bedingungen, unter denen seltene Ereignisse ignoriert oder übergewichtet werden, lassen sich heute besser verstehen als zu der Zeit, als die Neue Erwartungstheorie formuliert wurde. Die Wahrscheinlichkeit eines seltenen
Ereignisses wird (oft, nicht immer) aufgrund des Bestätigungsfehlers des Gedächtnisses überschätzt. Wenn Sie über dieses Ereignis nachdenken, versuchen Sie, es in Ihrem Geist als wahr anzunehmen. Ein seltenes Ereignis wird übergewichtet, wenn es gesondert Aufmerksamkeit auf sich zieht. Gesonderte Aufmerksamkeit ist faktisch garantiert, wenn Chancen explizit beschrieben werden (»eine 99-prozentige Chance, 1000 Dollar zu gewinnen, und eine 1-prozentige Chance, nichts zu gewinnen«). Zwanghafte Ängste (der Bus in Jerusalem), plastische Bilder (die Rosen), konkrete Repräsentationen (1 von 1000) und explizite Erinnerungen (wie bei Wahlen auf der Basis von Beschreibungen) tragen alle zur Übergewichtung bei. Und wenn keine Übergewichtung stattfindet, kommt es zu Vernachlässigung. Unser Gehirn ist nicht dafür ausgelegt, geringe Wahrscheinlichkeiten richtig einzuschätzen. Für die Bewohner eines Planeten, dem möglicherweise Ereignisse bevorstehen, die bislang noch niemand erlebt hat, sind dies keine guten Neuigkeiten.
Zum Thema »Seltene Ereignisse«
»Tsunamis sind selbst in Japan sehr selten, aber das Bild ist so anschaulich und eindringlich, dass Touristen zwangsläufig ihre Wahrscheinlichkeit überschätzen.«
»Es ist der vertraute Katastrophenzyklus. Es beginnt mit Übertreibung und Übergewichtung, dann setzt Vernachlässigung ein.«
»Wir sollten uns nicht auf ein einzelnes Szenario konzentrieren, oder wir werden seine Wahrscheinlichkeit überschätzen. Wir wollen spezifische Alternativen angeben und dafür sorgen, dass sich die Wahrscheinlichkeiten
Weitere Kostenlose Bücher