Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)
Erachtens sagen, dass eine konkrete und anschauliche Darstellung des Ergebnisses, unabhängig davon, ob es emotional aufgeladen ist oder nicht, die Bedeutung der Wahrscheinlichkeit bei der Beurteilung einer unsicheren Aussicht reduziert. Diese Hypothese legt eine Vorhersage nahe, von der ich hinlänglich überzeugt bin: Die Berechnung wird auch gestört, wenn ich ein monetäres Ergebnis mit belanglosen, aber anschaulichen Details anreichere. Vergleichen Sie Ihre Bargeldäquivalente für die folgenden Ergebnisse:
21-prozentige (oder 84-prozentige) Chance, nächsten Montag 59 Dollar zu bekommen.
21-prozentige (oder 84-prozentige) Chance, nächsten Montagmorgen einen großen blauen Pappumschlag mit 59 Dollar darin zu bekommen.
Die neue Hypothese lautet, dass im zweiten Fall die Wahrscheinlichkeitsempfindlichkeit geringer ist, weil der blaue Umschlag eine reichhaltigere und flüssigere Repräsentation hervorruft als der abstrakte Begriff einer Geldsumme. Sie haben dieses Ereignis in Ihrem Geist konstruiert, und das anschauliche Bild des Ergebnisses existiert dort, auch wenn Sie wissen, dass seine
Wahrscheinlichkeit gering ist. Auch die kognitive Leichtigkeit trägt zum Sicherheitseffekt bei: Wenn man ein anschauliches Bild eines Ereignisses im Sinn hat, ist die Möglichkeit, dass es nicht eintritt, ebenfalls anschaulich repräsentiert und übergewichtet. Die Kombination eines verstärkten Möglichkeitseffekts mit einem verstärkten Sicherheitseffekt lässt wenig Raum dafür, dass Entscheidungsgewichte von den Wahrscheinlichkeiten von 21 und 84 Prozent abweichen.
Anschauliche Wahrscheinlichkeiten
Die Annahme, dass Abrufleichtigkeit, Anschaulichkeit und Leichtigkeit der Imagination zu den Entscheidungsgewichten beitragen, wird von vielen anderen Beobachtungen gestützt. Die Teilnehmer an einem bekannten Experiment sollen eine Murmel aus einer von zwei Urnen ziehen, wobei rote Murmeln einen Preis gewinnen:
Urne A enthält zehn Murmeln, von denen eine rot ist.
Urne B enthält hundert Murmeln, von denen acht rot sind.
Für welche Urne würden Sie sich entscheiden? Die Gewinnchancen liegen bei 10 Prozent in Urne A und 8 Prozent in Urne B, sodass es leicht sein sollte, die richtige Wahl zu treffen. Aber das ist nicht der Fall: Etwa 30 bis 40 Prozent der Studenten wählen die Urne mit der größeren Anzahl gewinnbringender Murmeln statt die Urne, die mit einer höheren Gewinnchance verbunden ist. Seymour Epstein hat behauptet, die Ergebnisse verdeutlichten die typische oberflächliche Verarbeitungsweise von System 1 (das er das »erfahrungsbasierte System« nennt). 6
Die bemerkenswert unvernünftigen Entscheidungen, die Menschen in dieser Situation treffen, haben erwartungsgemäß die Aufmerksamkeit vieler Forscher auf sich gezogen. Dieser Verzerrung wurden verschiedene Namen gegeben; ich folge Paul Slovic und nenne sie »Nenner-Vernachlässigung« (denominator neglect) . Wenn Ihre Aufmerksamkeit auf die gewinnträchtigen Murmeln gerichtet ist, berücksichtigen Sie nicht mit der gleichen Sorgfalt die Anzahl der nicht gewinnenden Murmeln. Anschauliche Vorstellungsbilder tragen zur Vernachlässigung des Nenners bei, zumindest erlebe ich es so. Wenn ich mir die kleine Urne vorstelle, sehe ich eine einzelne rote Murmel auf einem
vage definierten Untergrund weißer Murmeln. Wenn ich mir die größere Urne vorstelle, sehe ich acht gewinnbringende rote Murmeln vor einem verschwommenen Hintergrund weißer Murmeln, was ein hoffnungsvolleres Gefühl auslöst. Die markante Anschaulichkeit der gewinnbringenden Murmeln erhöht das Entscheidungsgewicht dieses Ereignisses und verstärkt so den Möglichkeitseffekt. Natürlich gilt das Gleiche für den Sicherheitseffekt. Wenn ich eine 90-prozentige Gewinnchance habe, ist das Ereignis, nicht zu gewinnen, hervorstechender, wenn zehn von hundert Murmeln »Verlierer« sind, als wenn eine von zehn Murmeln zum gleichen Ergebnis führt.
Das Konzept der Nenner-Vernachlässigung hilft zu erklären, weshalb verschiedene Weisen, Risiken zu kommunizieren, so unterschiedliche Wirkungen entfalten. Sie lesen, dass »ein Impfstoff, der Kinder vor einer tödlichen Erkrankung schützt, mit dem 0,001-prozentigen Risiko einer dauerhaften Behinderung verbunden ist«. Das Risiko scheint klein zu sein. Betrachten Sie jetzt eine andere Beschreibung des gleichen Risikos: »Eines von 100 000 geimpften Kindern wird dauerhaft behindert sein.« Die zweite Aussage macht etwas mit Ihnen, was die erste nicht tut:
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