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Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)

Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)

Titel: Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Kahneman
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gleicht einer Symphonie mit einem dissonanten Ausklang  – die Tatsache, dass sie schlecht endete, bedeutet nicht, dass alles nur schlecht gewesen ist.«
     
    »Dies ist ein schlimmer Fall von Vernachlässigung der Dauer. Sie gewichten die positiven und die negativen Seiten Ihrer Erfahrung gleich stark, obwohl das Positive zehnmal so lange dauerte wie das Negative.«

36. Das Leben als eine Geschichte
    Als ich begann, mich wissenschaftlich mit der Frage zu beschäftigen, wie man subjektives Erleben misst, sah ich Verdis Oper La Traviata. Bekannt für ihre hinreißende Musik, ist sie auch eine bewegende Liebesgeschichte zwischen einem jungen Adligen und Violetta, einer Frau aus der Halbwelt. Der Vater des jungen Mannes sucht Violetta auf und überredet sie dazu, ihren Geliebten aufzugeben, um die Ehre der Familie und die Heiratschancen der Schwester des jungen Mannes zu schützen. In einem Akt höchster Selbstaufopferung gibt Violetta vor, auf den Mann, den sie über alles liebt, verzichten zu wollen. Bald darauf flammt ihre Schwindsucht (die im 19. Jahrhundert gebräuchliche Bezeichnung für Tuberkulose) auf. Im letzten Akt liegt Violetta auf dem Sterbebett, umgeben von ein paar Freunden. Als ihr Geliebter von ihrem Zustand erfährt, eilt er nach Paris, um sie zu sehen. Sobald sie die Nachricht hört, flößen ihr Hoffnung und Freude neuen Lebensmut ein; trotzdem verschlechtert sich ihr Zustand rapide.
    Ganz egal, wie oft man die Oper gesehen hat, packen einen immer wieder die Spannung und die Furcht des Augenblicks: Wird der junge Liebhaber rechtzeitig eintreffen? Man spürt, dass es für ihn enorm wichtig ist, seine Geliebte noch einmal zu sehen, bevor sie stirbt. Natürlich kommt er rechtzeitig; einige wunderbare Liebesduette werden gesungen, und nach zehnminütigem herrlichem Gesang segnet Violetta das Zeitliche.
    Auf dem Nachhauseweg von der Oper fragte ich mich: Weshalb sind uns diese zehn Minuten so wichtig? Ich erkannte sehr schnell, dass mir die Länge von Violettas Leben völlig egal war. Wenn man mir gesagt hätte, dass sie mit 27 Jahren starb, nicht mit 28, wie ich glaubte, hätte mich die Nachricht, dass sie ein Jahr Lebensglück verpasst hatte, überhaupt nicht berührt. Aber die Möglichkeit, die letzten zehn Minuten zu versäumen, war von großer Bedeutung. Außerdem hätten sich die Gefühle, die die Wiedervereinigung der Geliebten in mir auslösten, nicht verändert, wenn ich erfahren hätte, dass sie statt zehn Minuten eine Woche miteinander verbracht hätten. Doch wenn der Liebhaber zu spät gekommen wäre, wäre La Traviata eine ganz andere Geschichte gewesen.
Eine Geschichte dreht sich um bedeutende Ereignisse und denkwürdige Momente, nicht um das Vergehen der Zeit. In einer Geschichte ist die Vernachlässigung der Dauer normal, und der Schluss definiert oftmals ihren Charakter. In der Art und Weise, eine Erzählung zu gestalten, und in den Erinnerungen an Darmspiegelungen, Urlaube und Filme kommen die gleichen Kernmerkmale zum Vorschein. Das erinnernde Selbst komponiert Geschichten und bewahrt sie auf, um in Zukunft darauf zurückgreifen zu können.
    Nicht nur in der Oper stellen wir uns das Leben als eine Geschichte vor und wünschen uns, dass es ein gutes Ende nimmt. Wenn wir von dem Tod einer Frau erfahren, die viele Jahre lang mit ihrer Tochter zerstritten war, wollen wir wissen, ob sie sich vor ihrem Tod noch versöhnt haben. Nicht nur die Gefühle der Tochter sind uns wichtig – wir wollen auch die Erzählung des Lebens der Mutter verbessern. Die Sorge um andere Menschen manifestiert sich oftmals in dem Interesse an der Qualität ihrer Geschichten, nicht an ihren Gefühlen. Tatsächlich können uns sogar Ereignisse, die die Geschichten von bereits verstorbenen Menschen verändern, zutiefst ergreifen. Wir empfinden Mitleid für einen Mann, der in dem Glauben starb, seine Frau habe ihn geliebt, wenn wir erfahren, dass sie viele Jahre lang einen Geliebten hatte und nur wegen des Geldes bei ihrem Mann blieb. 1 Wir bemitleiden den Ehemann, obwohl er ein glückliches Leben gelebt hat. Wir empfinden die Demütigung einer Wissenschaftlerin, die eine bedeutende Entdeckung machte, welche sich nach ihrem Tod als falsch herausstellte, obwohl sie diese Schmach nicht erlebte. Am wichtigsten aber ist natürlich, dass wir uns alle intensiv für die Erzählung unseres eigenen Lebens interessieren und unbedingt wollen, dass es eine gute Geschichte mit einem anständigen Helden wird.
    Der Psychologe Ed

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