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Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)

Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)

Titel: Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Kahneman
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entwerfen und Erinnerungen zu sammeln. Das fieberhafte Fotografieren vieler Touristen deutet darauf hin, dass das Speichern von Erinnerungen oftmals ein wichtiges Ziel ist und sowohl die Urlaubspläne als auch die Urlaubserfahrung prägt. Der Fotograf betrachtet die Szene nicht als einen Moment, der genossen werden sollte, sondern als eine zu gestaltende zukünftige Erinnerung. Bilder mögen für das erinnernde Selbst nützlich sein – auch wenn wir sie nur selten sehr lange oder so oft betrachten, wie wir erwartet haben, oder auch gar nicht –, aber Fotografieren ist für das erlebende Selbst eines Touristen nicht unbedingt der beste Weg, einen schönen Anblick zu genießen.
    In vielen Fällen beurteilen wir touristische Aufenthalte nach der Geschichte und den Erinnerungen, die wir zu speichern hoffen. Das Wort »unvergesslich« wird oftmals dazu benutzt, Urlaubshöhepunkte zu beschreiben, und es enthüllt ausdrücklich das Ziel der Erfahrung. In anderen Situationen – hier fällt einem die Liebe ein – verändert die Erklärung, dass der gegenwärtige Moment unvergessen bleiben wird, auch wenn das nicht immer zutreffend ist, den Charakter dieses Moments. Eine das Selbstbewusstsein stärkende unvergessliche Erfahrung erhält ein Gewicht und eine Bedeutung, die sie andernfalls nicht haben würde.
    Ed Diener und sein Team lieferten Belege dafür, dass die Urlaubsziele von dem erinnernden Selbst ausgesucht werden. Sie baten Studenten, Tagebuch zu führen und ihre Erfahrungen während der Semesterferien im Frühjahr täglich zu beurteilen. Die Studenten gaben auch ein globales Urteil über die Ferien ab,
nachdem sie vorbei waren. Schließlich gaben sie an, ob sie noch einmal den gleichen Urlaub machen würden oder nicht. Die statistische Auswertung ergab, dass die zukünftigen Urlaubsabsichten voll und ganz von der abschließenden Bewertung bestimmt wurden – auch wenn diese Beurteilung nicht genau mit der Qualität der Erfahrungen, die in den Tagebüchern beschrieben wurden, übereinstimmte. Wie beim Kalte-Hand-Experiment entscheiden wir – ob richtig oder falsch – anhand der Erinnerungen , wenn wir uns fragen, ob wir eine Erfahrung wiederholen wollen oder nicht.
    Ein Gedankenexperiment über Ihren nächsten Urlaub erlaubt es Ihnen, Ihre Einstellung zu Ihrem erlebenden Selbst zu beobachten.
    Am Ende des Urlaubs werden alle Bilder und Videos zerstört. Außerdem trinken Sie einen Zaubertrank, der all Ihre Urlaubserinnerungen löschen wird.
     
    Wie würde sich diese Aussicht auf Ihre Urlaubspläne auswirken? Wie viel wären Sie bereit dafür zu zahlen, verglichen mit einem normal erinnerbaren Urlaub?
    Obwohl ich die Reaktionen auf dieses Szenario nicht wissenschaftlich erforscht habe, ist mein Eindruck aus Gesprächen, dass das Löschen der Erinnerungen den Wert von Erfahrungen erheblich vermindert. In einigen Fällen behandeln sich Menschen selbst so, wie sie einen anderen Menschen mit Gedächtnisverlust behandeln würden; sie entscheiden sich, ihre »Lustbilanz« dadurch zu maximieren, dass sie an einen Ort zurückkehren, wo sie sich früher schon einmal wohlgefühlt haben. Einige Leute sagen allerdings, sie würden sich gar nicht erst die Mühe machen, überhaupt in den Urlaub zu fahren. Damit geben sie zu erkennen, dass ihnen einzig an ihrem erinnernden Selbst gelegen ist und dass ihnen ihr an Gedächtnisverlust leidendes erlebendes Selbst weniger bedeutet als ein amnestischer Fremder. Viele weisen darauf hin, dass sie weder sich selbst noch einen anderen Amnestiker losschicken würden, um Berge zu erklimmen oder durch einen Dschungel zu marschieren – weil diese Erlebnisse in der Echtzeit überwiegend unangenehm sind und ihren Wert aus der Erwartung erhalten, dass sowohl die Mühen als auch die Freude darüber, das Ziel zu erreichen, unvergesslich sein werden.
    Nun zu einem weiteren Gedankenexperiment: Stellen Sie sich vor, Ihnen steht eine schmerzhafte Operation bevor, in der Sie bei vollem Bewusstsein
bleiben. Man sagt Ihnen, dass Sie vor Schmerzen schreien und den Chirurgen anflehen werden, aufzuhören. Man verspricht Ihnen jedoch ein amnestisches Medikament, das jegliche Erinnerung an die Episode löschen wird. Wie beurteilen Sie diese Aussicht? Auch hier ist es nach meinen informellen Beobachtungen so, dass die meisten Menschen den Schmerzerfahrungen ihres erlebenden Selbst bemerkenswert gleichgültig gegenüberstehen. Einige sagen, es wäre ihnen völlig egal. Andere teilen meine Einstellung:

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