Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)
überfüllten Straßen von New York hübsche Aussichten zu erkunden, bemerkte sie, dass ihr Geldbeutel verschwunden war.
Als Personen, die diese kurze Geschichte (zusammen mit vielen anderen) gelesen hatten, einem überraschenden Gedächtnistest unterzogen wurden, assoziierten sie das Wort »Taschendieb« häufiger mit der Geschichte als das Wort »Aussichten«, obwohl Letzteres im Satz vorkam, während Ersteres dies nicht tat. 3 Die Regeln assoziativer Kohärenz sagten uns, was geschehen war. Das Ereignis eines verlorenen Geldbeutels könnte viele verschiedene Ursachen evozieren: Der Geldbeutel rutschte aus einer Tasche heraus, wurde in einem Restaurant liegen gelassen usw. Aber wenn die Vorstellungen »verlorener Geldbeutel«, »New York« und »Menschenmenge« miteinander verbunden sind, rufen sie gemeinsam die Erklärung hervor, dass ein Taschendieb für den Verlust verantwortlich ist. In der Geschichte von der erschreckenden Suppe bringt das Ergebnis – ob das Zusammenzucken eines zweiten Gastes beim Probieren der Suppe oder die extreme Reaktion der ersten Person auf die Berührung durch den Ober – eine assoziativ kohärente Interpretation der anfänglichen Überraschung hervor, die eine plausible Geschichte vervollständigt.
Der aristokratische belgische Psychologe Albert Michotte veröffentlichte 1945 ein Buch, das jahrhundertealte Kausalitätskonzeptionen, die zumindest bis auf Humes Studie über die Mechanismen der Ideenassoziation zurückgingen, über den Haufen warf. Nach gängiger Auffassung schlossen wir aus wiederholten Beobachtungen von Korrelationen zwischen Ereignissen auf physikalische Kausalität. Wir hatten unzählige Erlebnisse, bei denen wir sahen, wie ein bewegter Gegenstand einen anderen berührte, der sofort anfing, sich zu bewegen, oftmals (aber nicht immer) in die gleiche Richtung. Dies geschieht, wenn eine Billardkugel gegen eine andere stößt, und das geschieht auch, wenn Sie eine Vase umwerfen. Michotte hatte einen anderen Ansatz: Er behauptete, dass wir Kausalität genauso direkt sehen , wie wir Farbe sehen. Um diese Hypothese zu beweisen, führte er ein Experiment durch, bei dem die Versuchspersonen ein gezeichnetes schwarzes Quadrat in Bewegung sehen; es berührt ein anderes Quadrat, das sich sofort zu bewegen beginnt. Die Beobachter wissen, dass es keinen realen physischen Kontakt gibt, trotzdem haben sie eine starke »Kausalitätsillusion«. Wenn sich das zweite Objekt sofort zu bewegen beginnt, sagen sie, es sei vom ersten »angestoßen« worden. Experimente haben gezeigt, dass sechs Monate alte Säuglinge die Folge von Ereignissen als ein Ursache-Wirkung-Szenario sehen, und sie lassen Überraschung erkennen, wenn die Folge verändert wird. 4 Wir sind offensichtlich von Geburt an darauf eingestellt, Eindrücke von Kausalität zu haben, die nicht davon abhängen, ob wir über Muster der Verursachung nachdenken. Sie sind Produkte von System 1.
Im Jahr 1944, etwa zur selben Zeit, als Michotte seine Versuche über physikalische Kausalität veröffentlichte, benutzten die Psychologen Fritz Heider und Mary-Ann Simmel eine ähnliche Methode wie Michotte, um die Wahrnehmung intentionaler Kausalität zu untersuchen. Sie stellten einen Film her, der nur eine Minute und vierzig Sekunden lang ist und in dem man ein großes Dreieck, ein kleines Dreieck und einen Kreis sieht, die sich um eine Figur bewegen, die aussieht wie die schematische Ansicht eines Hauses mit einer offenen Tür. Die Betrachter sehen ein aggressives großes Dreieck, das ein kleineres Dreieck drangsaliert, einen verschreckten Kreis, wobei sich der Kreis und das kleine Dreieck verbünden, um den Rüpel zu überwältigen; sie sehen auch viel Gezerre an einer Tür und dann ein explosives Finale. 5 Der Eindruck von Absicht und Emotionalität ist unwiderstehlich; nur Menschen, die an Autismus leiden, erleben dies nicht. Natürlich geschieht dies nur in unserem Kopf. Unser Gehirn ist nicht nur bereit, sondern regelrecht darauf aus, Akteure zu identifizieren, ihnen Persönlichkeitszüge und spezifische Intentionen zuzuschreiben
und ihre Handlungen als Ausdruck individueller Neigungen zu interpretieren. Auch hier sprechen die empirischen Befunde dafür, dass wir mit einer Anlage für intentionale Attributionen geboren werden: Schon Säuglinge unter einem Jahr identifizieren Rüpel und Opfer und erwarten von einem Verfolger, dass er den kürzesten Weg nimmt, um das zu fangen, hinter dem er her ist. 6
Die subjektive
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