Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)
unser Verhalten in viel stärkerem Maße, als wir es erkennen oder wollen, von unserem augenblicklichen Umfeld beeinflusst wird. Viele Menschen bezweifeln die Ergebnisse von Priming-Experimenten, weil sie nicht ihrem subjektiven Erleben entsprechen. Viele andere finden die Ergebnisse erschütternd, weil sie darin eine Bedrohung für das subjektive Bewusstsein von Handlungskompetenz und autonomer Selbstbestimmung sehen.
Wenn der Inhalt eines Bildschirmschoners auf einem belanglosen Computer unsere Bereitschaft, Fremden zu helfen, beeinflussen kann, ohne dass wir uns dessen bewusst sind, wie frei sind wir dann? Ankereffekte werden als ähnlich bedrohlich erlebt. Obwohl wir uns des Ankers immer bewusst sind und ihm sogar unsere Aufmerksamkeit schenken, wissen wir nicht, wie er unser Denken lenkt und einschränkt, weil wir uns nicht vorstellen können, was wir gedacht hätten, wenn der Anker anders gewesen wäre (oder gar kein Anker vorhanden gewesen wäre). Wir sollten jedenfalls davon ausgehen, dass jede Zahl, die uns dargeboten wird, einen Ankereffekt auf uns hat, und wenn viel auf dem Spiel steht, sollte man sich selbst (sein System 2) mobilisieren, um diesen Effekt zu bekämpfen.
Zum Thema »Anker«
»Die Firma, die wir übernehmen wollen, ließ uns ihren Geschäftsplan mit dem erwarteten Umsatz zukommen. Wir sollten uns nicht von dieser Zahl beeinflussen lassen. Wir sollten sie ignorieren.«
»Pläne sind optimale Szenarien. Bei der Vorhersage der tatsächlichen Ergebnisse sollten wir uns nicht von dem Ankereffekt der Planzahlen beeinflussen lassen. Dies können wir unter anderem dadurch tun, dass wir uns überlegen, was bei dem Plan schiefgehen könnte.«
»Unser Ziel bei den Verhandlungen ist es, ihnen diese Zahl als Anker unterzujubeln.«
»Stellen wir klar, dass wir die Verhandlungen abbrechen, wenn dies ihr Angebot ist. Das ist für uns keine akzeptable Verhandlungsbasis.«
»Die Anwälte des Beklagten erwähnten scheinbar beiläufig einen Fall, in dem eine lächerlich geringe Schadensersatzsumme zuerkannt wurde. Und es gelang ihnen so, diesen Betrag als Anker für die Entscheidung des Richters festzusetzen.« 11
12. Die Wissenschaft der Verfügbarkeit
Die produktivsten Jahre der Zusammenarbeit zwischen Amos und mir waren 1971 und 1972. Wir waren damals Gäste des Oregon Research Institute in Eugene, das mehrere zukünftige Stars sämtlicher Forschungsfelder, auf denen wir arbeiteten, beherbergte – Urteils- und Entscheidungsfindung und intuitive Vorhersagen. Unser wichtigster Gastgeber war Paul Slovic, der in Ann Arbor mit Amos studiert hatte und lebenslang mit ihm befreundet blieb. Paul stand im Begriff, der führende Psychologe auf dem Gebiet der Risikoforschung zu werden – eine Position, die er seit Jahrzehnten innehat und die ihm zahllose Ehrungen eintrug. Paul und seine Frau Roz machten uns mit dem Lebensstil in Eugene vertraut, und bald taten wir das, was alle Menschen in Eugene tun – joggen, grillen und Kinder zu Basketballspielen mitnehmen. Aber wir arbeiteten auch sehr hart, führten Dutzende von Experimenten durch und verfassten unsere Artikel über Urteilsheuristiken. Abends schrieb ich an Attention and Effort . Es war ein arbeitsreiches Jahr.
Eines unserer Projekte war die Erforschung eines Phänomens, das wir »Verfügbarkeitsheuristik« nannten. Wir kamen auf diese Heuristik, als wir uns fragten, was Menschen tun, wenn sie die Häufigkeit einer bestimmten Kategorie abschätzen wollen, wie etwa »Menschen, die sich nach dem sechzigsten Lebensjahr scheiden lassen« oder »gefährliche Fabriken«. Die Antwort war einfach: Beispiele der jeweiligen Kategorien werden aus dem Gedächtnis abgerufen, und wenn der Abruf leicht und flüssig ist, wird die Kategorie als groß beurteilt. Wir definierten die Verfügbarkeitsheuristik als den Prozess der Einschätzung von Häufigkeit »anhand der Leichtigkeit, mit der Beispielfälle erinnert werden«. 1 Diese Aussage schien klar und deutlich zu sein, als wir sie formulierten, aber der Verfügbarkeitsbegriff wurde seither weiter verfeinert.
Als wir die Verfügbarkeitsheuristik erforschten, war das Modell der zwei Systeme noch nicht entwickelt worden, und wir versuchten nicht, herauszufinden, ob diese Heuristik eine gezielte Strategie der Problemlösung oder eine automatische Operation ist. Heute wissen wir, dass beide Systeme beteiligt sind.
Wir haben uns frühzeitig mit der Frage befasst, wie viele Beispielfälle abgerufen
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