Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)
viele Mitglieder eines Teams den Eindruck haben, mehr getan zu haben, als eigentlich angemessen gewesen wäre, und sie haben auch das Gefühl, dass die anderen ihnen für ihre individuellen Beiträge nicht hinreichend dankbar sind.
Grundsätzlich bin ich nicht optimistisch, was unsere Fähigkeit zur Kontrolle von Verzerrungen anbelangt, aber dies ist eine Ausnahme. Die Chance
zur erfolgreichen Aufhebung von Verzerrungen existiert, weil die Umstände, unter denen Streitigkeiten über die angemessene Würdigung von Beiträgen auftreten, leicht zu identifizieren sind, und dies umso mehr, weil Spannungen oftmals dann auftreten, wenn mehrere Personen gleichzeitig das Gefühl haben, dass ihre Anstrengungen nicht gebührend gewürdigt werden. Die bloße Feststellung, dass normalerweise von allen zusammen über 100 Prozent Anerkennung beansprucht wird, genügt manchmal, um die Situation zu entschärfen. Jedenfalls sollte sich dies jeder Einzelne in Erinnerung rufen. Man leistet gelegentlich einen größeren Beitrag, als es angemessen wäre, aber es ist hilfreich, zu wissen, dass man dieses Gefühl vermutlich auch dann haben wird, wenn alle anderen Mitglieder des Teams das gleiche Gefühl haben.
Die Psychologie der Verfügbarkeit
Ein großer Fortschritt beim Verständnis der Verfügbarkeitsheuristik gelang Anfang der 1990er-Jahre, als eine Gruppe deutscher Psychologen unter Leitung von Norbert Schwarz eine faszinierende Frage aufwarf: Wie werden unsere Eindrücke von der Häufigkeit einer Kategorie durch die Aufgabe beeinflusst, eine vorgegebene Anzahl von Beispielen aufzulisten? 3
Stellen Sie sich vor, Sie wären selbst eine Versuchsperson in diesem Experiment:
Listen Sie zunächst sechs Situationen auf, in denen Sie sich durchsetzungsfähig verhalten haben.
Beurteilen Sie dann, wie durchsetzungsfähig Sie waren.
Stellen Sie sich vor, man hätte Sie nach zwölf Beispielen von durchsetzungsfähigem Verhalten gefragt (eine Zahl, die den meisten Menschen Mühe macht). Würden Sie Ihr Durchsetzungsvermögen nun anders beurteilen?
Schwarz und seine Kollegen stellten fest, dass die Aufgabe, Beispiele aufzulisten, die Beurteilungen dieser Eigenschaft über zwei verschiedene Wege verbessern kann:
– Die Anzahl der abgerufenen Beispiele
– Die Leichtigkeit des Abrufs
Die Forderung, zwölf Beispiele aufzulisten, spielt die beiden Determinanten gegeneinander aus. Einerseits haben Sie sich gerade eine erstaunliche Zahl von Fällen, in denen Sie Durchsetzungsvermögen gezeigt haben, in Erinnerung gerufen. Andererseits ist es so, dass Ihnen zwar die ersten drei oder vier Beispiele für Ihre Durchsetzungsfähigkeit vermutlich leicht eingefallen sind, aber dann haben Sie sich mit Sicherheit ziemlich abgemüht, um die Zwölferliste zu vervollständigen; die Abrufflüssigkeit (fluency) war gering. Was zählt mehr – die Anzahl der abgerufenen Beispiele oder die Leichtigkeit und Flüssigkeit des Abrufs?
Das Experiment erbrachte einen eindeutigen Gewinner: Menschen, die gerade zwölf Beispiele aufgelistet hatten, beurteilten sich selbst als weniger durchsetzungsfähig als Personen, die nur sechs Beispiele angeführt hatten. Außerdem hielten sich Probanden, die zwölf Situationen auflisten sollten, in denen sie sich nicht durchsetzungsfähig verhalten hatten, schließlich für ziemlich durchsetzungsstark! Wenn einem nicht mühelos Situationen einfallen, in denen man klein beigegeben hat, gelangt man wahrscheinlich zu dem Schluss, dass man alles andere als kleinlaut ist. Selbsteinschätzungen richteten sich maßgeblich nach der Leichtigkeit, mit der den Probanden Beispiele einfielen. Das Erleben des flüssigen Abrufens von Beispielen war wichtiger als die Anzahl der abgerufenen Beispiele.
Ein noch direkterer Nachweis der Rolle der Abrufflüssigkeit lieferten andere Psychologen derselben Forschergruppe. 4 Alle Teilnehmer an ihrem Experiment listeten sechs Beispiele von durchsetzungsfähigem (oder nicht durchsetzungsfähigem) Verhalten auf, während sie einen bestimmten Gesichtsausdruck aufrechterhalten sollten. »Lächler« sollten den Jochbeinmuskel zusammenziehen, wodurch ein leichtes Lächeln entsteht; »Stirnrunzler« sollten ihre Stirn in Falten legen. Wie Sie bereits wissen, geht Stirnrunzeln normalerweise mit kognitiver Beanspruchung einher, und der Effekt ist symmetrisch: Wenn Probanden die Stirn runzeln sollen, während sie eine Aufgabe erledigen, strengen sie sich stärker an und erleben eine größere kognitive
Weitere Kostenlose Bücher