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Schnitt: Psychothriller

Schnitt: Psychothriller

Titel: Schnitt: Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Raabe
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über. Es dauert eine Weile, bis sie es schafft, das Magazin herauszuziehen. Keine Patronen! Die Waffe ist nicht geladen.
    Liz ist enttäuscht, aber auch erleichtert. Die schwere Waffe in ihrer Hand gibt ihr trotz der fehlenden Patronen ein Gefühl von Sicherheit.
    Sie schielt nach den Pfefferminzkaugummis. Am liebsten würde sie jetzt alle gleichzeitig in den Mund stecken, aber sie weiß, dass der Hunger dann nur noch größer wird. Sie atmet tief durch und überlegt. Mit dem gestohlenen Wagen wird sie nicht weit kommen, und in diesem grotesken Aufzug schon gar nicht. In dem schwarzen Kleid, unter dem sie noch nicht einmal Unterwäsche trägt, fühlt sie sich wehrlos und verletzlich. Unterwäsche kommt ihr plötzlich vor wie eine Ritterrüstung.
    Kurz entschlossen legt sie den Rückwärtsgang ein, holpert im Schein der Rückleuchten über den Waldweg zurück zur Straße und steuert den BMW wieder nach Wassen, in den Ortskern hinein. Nach fünf Minuten hat sie gefunden, was sie sucht: eine kleine Boutique in einer wie ausgestorben daliegenden Seitenstraße.
    Sie parkt direkt auf dem Gehsteig vor der Ladentür.
    Die Anspannung lässt ihren Puls galoppieren, als sie die Fahrertür öffnet und aussteigt. Sie kommt sich vor wie ein Fallschirmspringer, der zum ersten Mal aus dem Flieger springt. Die kalte Luft brennt auf der Haut.
    Und jetzt?
    Sie öffnet die Heckklappe des BMW s, und ihr Herz macht einen Sprung. Auf der Ladefläche des Kombis steht ein Werkzeugkoffer. Auch wenn sie kaum etwas von Werkzeug versteht, das Stemmeisen und der Hartgummihammer sehen auf den ersten Blick aus wie das geeignete Werkzeug, um eine Tür aufzubrechen.
    Als sie das Eisen zwischen Türschloss und Zarge ansetzt, bricht ihr der Schweiß aus. Die einsame Straße atmet ihr kalt in den Rücken, als könnte Val dort jederzeit auftauchen.
    Der erste Schlag mit dem Hammer hallt dumpf im Eingang wider. Rasch schlägt sie zwei weitere Male und treibt das Eisen ins Holz. Behutsam legt sie den Hammer beiseite, dann stemmt sie sich mit aller Kraft gegen das Eisen und versucht, die Tür aufzuhebeln. Das Holz um das Schloss splittert mit einem Geräusch, als berste ein trockener Baumstamm. Erschrocken hält sie inne, hält den Atem an, eine Ewigkeit, aber nichts passiert. Dann öffnet sie die Tür, die lautlos nach innen schwingt. Als sie den Laden betritt, bleibt ihr schwarzes Kleid an der gesplitterten Tür hängen, und der empfindliche Haute-Couture-Stoff reißt hörbar.
    Liz flucht lautlos und zerrt den Stoff aus dem geborstenen Holz.
    Im Laden verschwendet sie keine Zeit. Sie greift möglichst alles, was dunkel ist: Unterwäsche, Shirts, Pullover, Jeans, Schuhe und Socken, von allem stapelweise, weil sie sich keine Zeit nimmt, auf die Größen zu achten, und wirft alles auf die Rückbank des BMW s. Zuletzt nimmt sie sich noch eine dunkelbraune Jacke mit Schweizer Emblem auf dem Ärmel und eine Mütze. Dann bleibt ihr Blick am Telefon auf dem Tresen hängen.
    Rasch legt sie die Klamotten ab und wählt Gabriels Nummer. Als die Mailbox anspringt, treibt ihr die Enttäuschung Tränen in die Augen. »Hey. Hier ist Liz. Wo bist du , verdammt. Ich hab einen«, sie schluchzt kurz auf, »einen verfluchten Horrortrip hinter mir. Ich – ich bin entführt worden und … abgehauen. Bitte ruf mich … Ach, Scheiße, mein Handy … Ich hab kein Telefon. Also bitte, lass dein Handy an und stell es auf laut. Ich muss dich erreichen, bitte! Ich meld mich wieder.«
    Sie versucht es noch in Gabriels Wohnung und in ihrer eigenen Wohnung, aber niemand nimmt ab. Sie legt auf, atmet tief durch und versucht, das Gefühl von bodenloser Einsamkeit nicht übermächtig werden zu lassen.
    Sie will gerade zum Auto zurück, als ihr Blick auf die Kasse fällt. Für einen Moment bleibt sie wie gefangen stehen, unschlüssig, ob sie nach allen Grenzen, die sie schon überschritten hat, auch diese noch überschreiten darf.
    Plötzlich erscheint es ihr vollkommen logisch, dass es ja weniger schlimm ist, das Geld zu nehmen, um eine Bahnfahrkarte zu kaufen, als den gestohlenen Wagen zu behalten, um damit nach Berlin zu fahren.
    Liz setzt das Stemmeisen an und bricht die Geldschublade der Registrierkasse auf. Mit beiden Händen stopft sie die Schweizer Franken in die Taschen ihrer neuen Jacke, dann eilt sie durch die

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