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Schnitt: Psychothriller

Schnitt: Psychothriller

Titel: Schnitt: Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Raabe
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damals, als sie sich kennengelernt hatten. Manchmal, im Angesicht all der Ungerechtigkeiten, die ihr Tag für Tag begegneten, und ihrer Ohnmacht, wünschte sie sich nichts sehnlicher, als so zu sein wie er. Aber das einzige Mittel, das ihr zur Verfügung stand, um zu kämpfen, waren ihre Dokumentationen und Reportagen.
    Was ihre Schwangerschaft anging, setzte zwischen ihr und Gabriel ein unausgesprochener Wettbewerb ein, wen sie am meisten verstörte.
    Inzwischen weiß sie, dass er eindeutig der Sieger dieses Wettbewerbs ist. In seinem Leben ist kein Platz für Kinder vorgesehen. Eigentlich ist in seinem Leben noch nicht einmal ein Platz für sie vorgesehen. Dass sie dennoch einen hat, grenzt an ein Wunder.
    Die Berlinale. Sie muss lächeln, als sie daran denkt, wie sie Gabriel vor eineinhalb Jahren dort kennengelernt hat. Einmal mehr hatte sie mit ihrem Talent geglänzt, sich unvermutet in Schwierigkeiten zu bringen. Zuerst das heißumkämpfte Interview mit David Naumann, danach der abgehalfterte Schwergewichtler Zabriski. Er ging langsam aus dem Leim, weil er nicht mehr boxte, und gegen ihn lief eine Klage wegen Körperverletzung – er hatte ein paar Tage zuvor einen Paparazzo verprügelt. Trotzdem gehörte er immer noch zu den Haus-und-Hof-Promis des Senders. Seine Kämpfe hatten stets gute Quoten garantiert, und in jeder dritten Show von TV 2 war er mit von der Partie. Dass er neuerdings kokste und sein Leben aus den Fugen geriet, war so offensichtlich, dass es weh tat.
    Wieder einmal hatte sie es nicht geschafft, ihre Zunge zu zügeln. Wieder einmal hatte sie eine Frage gestellt, die eine Zündschnur in Brand setzte. Zabriski rastete aus. Als der erste Schlag auf ihren Wangenknochen klatschte, war sie viel zu verblüfft, um rechtzeitig die Flucht zu ergreifen. Als er sie am Kragen packte und schüttelte, bekam sie es mit der Angst zu tun. Die versammelte Partymeute von TV 2 stand drum herum, doch keiner unternahm etwas. Auch Neo, ihr Kameramann, der direkt hinter ihr war, tat nichts, das heißt, er tat das Einzige, was er konnte: die Kamera laufen lassen und draufhalten.
    Dann stand Gabriel plötzlich da. Die blauen Augen kalt, kurzgeschorene schwarze Haare, schwarze Lederjacke, vielleicht einen halben Kopf kleiner als Zabriski und deutlich schmaler. »Lass sie los«, sagte er. Mehr nicht. Für Liz klang es wie das verhaltene Knurren einer Raubkatze.
    Zabriski ließ tatsächlich los. Allerdings nur, um sich anschließend auf Gabriel zu stürzen. Was dann kam, ging unglaublich schnell. Hinterher hätte niemand beschreiben können, was genau passiert war, auch Liz nicht, hätte sie nicht das Band aus Neos Kamera gehabt, das sie sich immer wieder ansah, vorwärts, rückwärts, in Slow Motion.
    Gabriel lenkte Zabriskis rechte Faust, die mitten auf sein Gesicht zuflog, mit dem rechten Unterarm an seinem Kopf vorbei, packte das Handgelenk, drückte den Arm hinunter, während sein linker Arm emporschnellte und Zabriskis Ellenbogen nach oben drosch. Das Ellenbogengelenk splitterte mit einem leisen Knirschen und bog sich in einem hässlichen unnatürlichen Winkel. Fast im selben Moment löste sich Gabriels rechte Hand von Zabriskis Arm, schoss in gerader Linie und mit vorgestrecktem Handballen auf das Gesicht des Boxers zu. Der Schlag zertrümmerte Zabriskis Nasenbein, der Boxer brüllte vor Schmerz auf und strauchelte. Gabriel kickte mit dem rechten Fuß Zabriskis Standbein beiseite, und der Schwergewichtler krachte plump auf den Boden. Zwischen Zabriskis erstem Schlag und dem Aufsetzen seines Hinterteils auf dem Parkettboden der Nobelkneipe waren nur wenige Sekunden vergangen.
    Die Berlinale-Sause setzte aus, als hätte jemand die Stopptaste gedrückt.
    Seltsam war, dass Gabriel sich nicht im Geringsten für den Boxer interessierte. Er hatte einzig und allein Augen für die Kamera; sie beunruhigte ihn. Zwei schnelle Schritte, dann stand er bei Neo, deutete auf die Kamera und streckte die Hand aus. »Das Band.«
    Liz rang immer noch um Fassung und sah, wie Neo auf Eject drückte. Die Kamera spuckte die Kassette aus, Gabriel griff danach, steckte sie in seine schwarze Lederjacke und verschwand durch die Tür, in der Jackentasche seinen Blitzsieg über Zabriski – und Liz’ Interview mit David Naumann.
    Hätte er das Band nicht mitgenommen, dann hätte sie ihn vermutlich nie wiedergesehen.
    So jedoch war

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