Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schnitt: Psychothriller

Schnitt: Psychothriller

Titel: Schnitt: Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Raabe
Vom Netzwerk:
Telefonieren . «
    Gabriel beißt sich auf die Lippen. »Nein. Natürlich nicht. Ich brauche dich !«
    Â»Und warum bitte telefonierst du nicht selbst?«, fragt David.
    Â»Weil ich … ich sitze fest.«
    Eine unangenehme Pause entsteht.
    Â»Du sitzt fest?«
    Â»Nicht was du denkst, mach dir keine Sorgen. Ich hatte nur eine kleine Auseinandersetzung mit –«
    Â»O nein«, stöhnt David. »Du bist im Gefängnis, richtig?«
    Â»Nein, nicht Gefängnis«, beeilt sich Gabriel zu sagen. »Nur eine Arrestzelle auf dem Polizeirevier. Ein Missverständnis, mehr nicht. Ich bin hier schnell wieder raus.«
    Â»Natürlich, ein Missverständnis.« David seufzt. »Was hast du getan?«
    Â»Das spielt jetzt –«
    Â»â€“ keine Rolle?«, unterbricht ihn David gereizt. »Was spielt denn bei dir eine Rolle? Nachdem ich mich zwanzig Jahre lang daran gewöhnen musste, dass du tot bist – oder sonst was –, rufst du mal eben an, aus dem Knast, und ich soll deiner verschwundenen Freundin hinterhertelefonieren? Gottverdammt! Bist du aus der Klapse ausgebrochen? Oder zugedröhnt? Weißt du, wie durchgeknallt das ist?«
    Klapse. Gabriel presst die Lippen aufeinander. »Du glaubst mir nicht«, sagt er bitter.
    Stille.
    Nur Davids Atem.
    Â»Okay«, sagt David. »Tut mir leid, das mit der Klapse. Aber ganz ehrlich: Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Das letzte Mal, als ich dich gesehen habe, da mussten sie dich mit Gewalt in eine Zwangsjacke stecken. Du warst einfach nicht mehr zurechnungsfähig.«
    Â»Die haben mich mit Drogen vollgepumpt.«
    Â»Du hast dich selbst jahrelang mit Drogen vollgepumpt.«
    Â»Ach, so war das! Gut, dass du’s mir noch mal erklärst!« Gabriels Magen brennt vor Wut. »Und selbst wenn’s so war. Wen wundert’s, bei dem, was die mit mir angestellt haben.«
    Â»Ich glaube nicht, dass die eine Wahl hatten …«
    Â» Ich hatte keine Wahl. Ich!«, sagt Gabriel. Wir drehen uns im Kreis, denkt er. Kaum sprechen wir wieder miteinander, drehen wir uns im Kreis. »David, hör zu. Egal, was passiert ist. Ich bin clean, seit fast neunzehn Jahren. Das musst du mir glauben, bitte.«
    David sagt nichts.
    Die Stille rollt wie Wasser über einen Strand.
    Â»Gehst du manchmal noch zum Grab?«, fragt David.
    Gabriel zuckt zusammen. Die Frage kommt plötzlich, wie ein Überfall in einer dunklen Gasse. »Manchmal«, sagt Gabriel. Tatsächlich war er seit der Beerdigung nur ein einziges Mal dort gewesen.»Und du?«
    Â»Alle zwei, drei Monate.«
    Für einen kurzen Moment ist die alte Vertrautheit wieder da, das gemeinsame Kinderzimmer mit der hellblauen Wand und der Gaube, auf die der Regen prasselt. Sie liegen beide unter ihren Bettdecken. Das Poster von Luke hängt an der Wand, im Regal liegen die Plastik-Leuchtschwerter. Alles ist so klar, so präsent, als wäre auf der anderen Seite des Spiegels das Licht angegangen und als könne er hindurchschauen, in ein früheres Leben. Ein Leben mit Postern, Regalen und Betten. Und Eltern. Es schnürt ihm die Kehle zu, und er muss sich räuspern. »Hilf mir, David. Bitte.«
    Â»Okay«, sagt David. »Ich versuch’s.«
    Gabriel wird schwindelig vor Erleichterung.
    Â»Weißt du eigentlich«, fragt David gedehnt, »dass du mich gerade zum allerersten Mal um etwas gebeten hast?«
    Â»Was?«
    Â»Im Ernst, das war gerade, glaube ich, das Vernünftigste, was ich je in meinem Leben von dir gehört habe.«
    Verblüfft schweigt Gabriel.
    Â»Wann ist sie denn überfallen worden?«
    Â»Letzte Nacht, gegen Mitternacht, im Friedrichshain, wie gesagt.«
    Â»Hm. Friedrichshain. Da liegt doch das Vivantes Klinikum, direkt am Volkspark.«
    Gabriel stutzt, dann stöhnt er. »Verdammt. Dass ich da nicht schon viel früher dran gedacht hab.«
    Â»Vielleicht ist sie ja da gelandet. Wäre jedenfalls das Nächstliegende. Ich fahr da mal vorbei. Wie heißt sie denn?«
    Â»Was? Wer?«
    Â»Na wer schon«, blafft David.
    Â»Ã„h, Liz. Liz Anders.«
    Â»Liz Anders?« Totenstille. » Doch nicht etwa die Liz Anders?«
    Gabriel überlegt, ob er einfach ja sagen soll, aber irgendwie erscheint ihm die Antwort unpassend. Er kann seinen Bruder denken hören, am anderen Ende der Leitung. Die einzelnen Gedanken fallen um wie Dominosteine. Klick. Klick.

Weitere Kostenlose Bücher