Schnitt: Psychothriller
drei Polizisten in ihren Streifenwagen springen, dann prescht er mit quietschenden Reifen vom Parkplatz, Richtung Osten, raus aus Berlin, nur um an der nächsten Ecke sofort links abzubiegen und die Richtung zu wechseln. In der Nähe heult eine Sirene auf. Hastig sieht er in den Rückspiegel.
Noch kein Streifenwagen zu sehen.
Vermutlich haben die Beamten zu viel Zeit mit dem Wenden vertan.
An der nächsten Ecke biegt Gabriel wieder links ab, schlägt noch zwei weitere Haken und fährt in Richtung Westen, nach Berlin Mitte. Die Sirene ist jetzt nicht mehr zu hören. Nach einem weiteren Blick in den Rückspiegel lässt seine Anspannung etwas nach.
Dressler sitzt neben ihm und sagt kein Wort. Seine grauen Haare stehen wirr vom Kopf ab, und er stiert immer noch auf die Ablage. Dass er mit Hilfe eines alten Mikrophons aus einer Polizeiwache entführt worden ist, macht ihm sichtlich zu schaffen. »Wo ⦠wo ist die Pistole?«, krächzt er schlieÃlich, fast fünfzehn Minuten später.
Gabriel deutet wortlos auf Dresslers Jackett, das der Psychiater noch immer mit beiden Händen umklammert, als sei es der letzte Halt in einer Welt, die kopfsteht. Dressler tastet das dunkelblaue Stoffbündel ab und stöhnt, als er die Waffe fühlt. Zum ersten Mal in seinem Leben schlieÃen sich seine Finger um den Griff einer Pistole, er berührt sehnsüchtig den leicht gekrümmten Abzug, und man sieht ihm an, wie sehr er sich wünscht, dass die Waffe geladen wäre.
Gabriel fährt schweigend weiter. Sein Puls hat sich etwas beruhigt, dennoch wühlt ihn die Gegenwart von Dressler auf. Die Zeit in der Conradshöhe erscheint ihm wie ein dichter Nebel vor einem alles verschlingenden schwarzen Loch, und Dressler weckt in ihm immer noch das bedrohliche Gefühl, ausgeliefert zu sein, als könnte der Psychiater ihm immer noch â und jederzeit â eine Zwangsjacke über sein Innerstes stülpen. Vergeblich versucht er, sich auf Liz zu konzentrieren, versucht, seine nächsten Schritte zu planen, doch solange Dressler neben ihm sitzt, gelingt es ihm nicht.
Kurz entschlossen schlägt er das Lenkrad scharf nach rechts ein und biegt in einen Hof. Die Fliehkraft wirft Dressler nach links, und die Krawatte drückt ihm die Kehle zu. Gabriel stellt den Motor ab, steigt aus, öffnet Dressler die Tür und löst die Krawatte vom Sitz.
Unsicher starrt der Psychiater ihn an, dann klettert er aus dem Porsche. Der Hof ist menschenleer, links und rechts sind Garagentüren.
»Ausziehen«, sagt Gabriel knapp.
»Wie bitte?«
»Ausziehen. Alles.«
Dressler läuft rot an unter seinem wirren grauen Haarschopf. »Was ⦠was soll das? Was bildest du dir ein«, stammelt er wütend.
»Ausziehen, oder ich brech Ihnen das Genick«, zischt Gabriel. Seine Wut ist wie altes zähes Ãl, das längst hätte entsorgt werden müssen. »Oder bezweifeln Sie, dass ich dazu fähig bin?«
Dressler öffnet den Mund, aber Gabriel schneidet ihm das Wort ab. »Was stand noch gleich in meiner Akte? Ich leide an Paranoia und bin hochaggressiv? Wenn Sie das wirklich glauben, sollten Sie dringend tun, was ich will.«
Dresslers Lippen beben vor Empörung. Langsam, wie ein Kind, das protestieren will, obwohl es weiÃ, dass es zwecklos ist, beginnt er, sich auszuziehen, bis auf die Unterhose. Seine Haut ist bleich und hat rosa Flecken.
»Die Unterhose und die Brille auch«, sagt Gabriel.
Dressler starrt ihn an. In seine Empörung mischt sich Verzweiflung. Sein Blick bekommt etwas Flehendes, als wolle er tatsächlich fragen, warum Gabriel ihm das alles antut.
»Sie wissen genau, warum«, sagt Gabriel.
Dresslers Blick flackert. »Ich ⦠ich hab nur meine Arbeit gemacht. Das haben damals alle gemacht. Ich hab doch die Behandlungsmethoden nicht erfunden, ich â«
»Runter mit der Brille.«
»Aber ⦠ohne ⦠also, ohne die Brille sehe ich nicht gut, ich bin â«
»Brille und Unterhose!«
Dressler schiebt das Kinn vor. Widerstrebend legt er die Brille auf die anderen Kleidungsstücke, dann, mit feuerrotem Kopf, streift er seine Unterhose ab und steht nackt vor Gabriel. Sein Geschlecht erinnert an dürres Geäst mit welkem Laub. Der kühle Septembermorgen lässt ihn zittern.
Gabriel fischt Dresslers Brieftasche aus dem Jackett und nimmt das Bargeld an sich, etwa 350 Euro.
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