Schnitt: Psychothriller
und bleibst allein. Ist im Grunde auch gut so, Luke.
Schon gut, schon gut, lass mich in Ruhe.
Gabriel macht auf dem Absatz kehrt und geht zur Treppe. In diesem Moment knirscht es leise hinter ihm. Er bleibt stehen und dreht sich um. Die Wohnungstür steht einen Spaltbreit offen. Der Mann, der ihn ansieht, ist blond, hat einen Dreitagebart, zerwühlte Haare und grüne Augen. Es sind die Augen von Gabriels Mutter.
Ein Sekundenblitz zuckt durch Gabriels Kopf, wie ein Stich mit einer heiÃen Nadel und mit dem Knall eines Schusses. Seine Mutter liegt am Boden, sie zuckt, und ihr linkes Auge ist weit geöffnet, die Iris liegt im Weià wie ein toter grüner See. Da, wo das rechte Auge war, ist ein dunkler blutiger Krater mit zerfaserten Rändern. Er kann in ihren Kopf hineinsehen. Alles ist so real. Die Luft scheint nach Blut zu schmecken, als ob ein feiner roter Nebel darin hängt. Der Schock lässt ihn nach Luft schnappen. Dann ist der Flashback vorbei, genauso abrupt, wie er gekommen ist.
»Gabriel?« Davids Augen weiten sich.
Gabriel nickt und versucht, seinen Atem zu kontrollieren. Er will etwas sagen, bringt aber kein Wort hervor. Er spürt, dass seine Hände zittern, verbirgt sie rasch in den Jackentaschen und versucht, ins Hier und Jetzt zurückzufinden. Die Realität wirkt nach dem Flashback seltsam blass. Er räuspert sich und ballt in den Jackentaschen die Fäuste. Das hilft.
David steht vor ihm und starrt ihn an wie ein Gespenst. Zwanzig Jahre , denkt Gabriel. Er hätte geschworen, dass er mehr empfinden würde in diesem Moment.
»Was machst du hier?«, fragt David schlieÃlich. »Ich dachte, du sitzt in U-Haft.«
»Hat sich erledigt«, murmelt Gabriel. »Wo ist Liz? Hast du was rausgekriegt?«
David mustert ihn, dann öffnet er die Tür ganz. »Komm erst mal rein.«
Gabriel nickt. Plötzlich schlägt die Erschöpfung mit voller Wucht über ihm zusammen. Schwankend folgt er David in einen langgestreckten hellen Flur.
»Wie bist du so schnell rausgekommen?«, fragt David, während er in die Küche vorgeht.
Für einen kurzen Moment überlegt Gabriel, ihm die Wahrheit zu sagen.
Was denn, Luke? Um dir die nächste beschissene Moralpredigt von Mister Gesetzestreu anzuhören?
»Hat mein Psychiater geregelt«, brummt Gabriel. Sein Blick gleitet über die taubenblau gestrichene Flurwand, an der eine Dreierserie gerahmter Kinoplakate von Star Wars hängt. Das mittlere zeigt Luke Skywalker.
»Hast du Kaffee?«, fragt Gabriel.
»Ich mach gleich einen«, sagt David.
Das Wohnzimmer der Dachgeschosswohnung ist groÃzügig dimensioniert, aber spartanisch eingerichtet. Neben der Tür ein Kirschbaumsekretär, in der Mitte des Zimmers zwei graue Stoffsofas über Eck, auf dem einen davon liegen ein Kopfkissen und eine zerknautschte Decke.
»Besuch?«, fragt Gabriel.
Seltsamerweise wirkt David verlegen. »Sie ist im Bad und geht gleich.« Er räumt zwei leere Rotweinflaschen und zwei Gläser vom Couchtisch, stellt sie auf den Tresen der offenen Küche und deutet auf das freie Sofa. »Setz dich.«
Gabriel schüttelt den Kopf. »Wo ist Liz?«
»Ich hab leider keine Ahnung â¦Â«
»Was soll das heiÃen, du hast keine Ahnung? Ich dachte, du wolltest dich erkundigen?« Gabriel starrt David wütend an. Zwei Flaschen Rotwein, eine Frau im Bad. Sonderlich viel Mühe kann David sich nicht gegeben haben.
»Hab ich auch. Ich hab mich erkundigt. Aber sie ist weg, wie vom Erdboden verschluckt.«
»Das kann nicht sein«, sagt Gabriel hitzig. »In irgendeinem Krankenhaus muss sie doch sein. Wo hast du es denn versucht?«
»Erst mal im Vivantes Klinikum Friedrichshain, das liegt ja direkt im Park. Dann bei der Notrufleitstelle, die wussten auch von nichts, und zuletzt noch bei der Polizei. Auch nichts. Keine Liz Anders, auch keinen Ãberfall auf eine Frau in Lizâ Alter oder jemanden mit roten Haaren. Nirgendwo ist eine Frau eingeliefert worden, auf die ihre Beschreibung auch nur annähernd passt, geschweige denn eine Liz Anders.«
»Das kann nicht sein«, insistiert Gabriel. »Ich meine, sie ist überfallen worden â¦Â«
»Willst du dich nicht doch erst mal setzen?«
»Lass mich in Ruhe mit deinem ScheiÃsetzen. «
»Okay, okay. Schon gut.« David hebt beschwichtigend die Hände. »Bist du sicher, dass du
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