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Schnitt: Psychothriller

Schnitt: Psychothriller

Titel: Schnitt: Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Raabe
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zerplatzen auf der Straße.
    Der 13. Oktober 1979.
    Fast dreißig Jahre ist das jetzt her, und er kann sich nicht an diese Nacht erinnern, nicht im Geringsten. Er denkt an die Conradshöhe, und die quälenden Therapiesitzungen mit Dressler fallen ihm wieder ein. Dressler, der mit seinem dünnen silbernen Stift alles notiert hatte, was ihm Gabriel im Delirium erzählt hatte. Was hätte er damals darum gegeben, ihm den Stift aus der Hand zu reißen, damit er endlich aufhört zu schreiben, aufhört, in seinen Wunden zu bohren.
    Jetzt dagegen wünscht er sich nichts mehr, als Dressler nach seinen Notizen zu fragen und von ihm seine alte Krankenakte zu bekommen, um darin nach irgendwelchen Hinweisen zu suchen. Aber nach seiner Flucht aus dem Gefängnis ist Dressler jetzt wohl der letzte Mensch, den er um Nachhilfe in Sachen Vergangenheit bitten kann.
    Die Akte. Wenn es etwas gibt, das ihm helfen kann, sich zu erinnern, dann die Akte. Ob sie wohl noch in der Conradshöhe ist? Wie lange werden Krankenakten überhaupt aufbewahrt? Doch mit Sicherheit keine zwanzig Jahre!
    In seinem Kopf breitet sich sofort ein drückender Schmerz aus. Alleine der Gedanke, in die Conradshöhe zurückzukehren, um dort nachzufragen, lässt Panik in ihm aufsteigen.
    Lass es! Lass es, wie es ist, flüstert ihm die Stimme zu. Glaub mir, das ist besser so. Keine Frau der Welt ist es wert, wieder in diese Scheiße hinabzusteigen.
    Woher weißt du das? Kannst du dich erinnern?
    Ich?
    Ja, verdammt! Du. Was ist mit deinem Gedächtnis?
    Das ist so gut wie deins.
    Was ist in dieser Nacht passiert?
    Ich hab’s vergessen, wie du. Hast du’s immer noch nicht begriffen? Wir sind ein Team. Wir sind eins. Nur dass du immer den anderen den Arsch retten willst. Ich will unseren retten.
    Gabriel ballt ohnmächtig die Fäuste. Verzweifelt fragt er sich, wer etwas über seine Akte wissen könnte.
    Und dann plötzlich fällt es ihm ein.

Kapitel 24
    Nirgendwo – 3. September
    Liz spürt, wie sie an einen Strand gespült wird. Das Salzwasser brennt ihr in den Lungen und den Atemwegen, sie verschluckt sich, immer wieder. Ihre Hände krallen sich in den feuchten Sand, bis sie bemerkt, dass der Sand aus Stoff besteht. Ein feuchtes Laken in einem Bett.
    Sie weiß nicht, wie lange es her ist, dass sie bei Bewusstsein war. Sie hat immer noch kein Gefühl für die Zeit. Und obwohl sie sich sofort an den Mann mit den zwei Gesichtshälften erinnert, erscheint ihr alles unwirklich, wie ein böser Traum.
    Es dauert eine Weile, bis sie bemerkt, dass nichts mehr in ihrer Luftröhre steckt und dass sie nicht mehr gegen eine fremde Kraft anatmet. Plötzlich überkommt sie das Gefühl von grenzenloser Erleichterung und Freiheit.
    Sie öffnet die Augen.
    Es ist derselbe blendend helle Raum wie beim letzten Mal, als sie aufgewacht ist. Je länger ihre Augen offen sind, umso dunkler erscheint er, bis er schließlich düster und schmutzig aussieht, wie eine karge Waschküche, nur dass ihr Bewusstsein noch eine bizarre unscharfe Korona um alles zeichnet, was sie sieht.
    Es dauert eine Weile, bis sie sicher ist, dass sie alleine ist. Keine Frau, die ihr die Hand auf die Stirn legt, kein Mann mit zwei Gesichtern. Es ist, als ob ihr Gedächtnis spazieren geht und Einzelteile vom Wegesrand auflesen muss. Der Überfall im Park. Das entstellte Gesicht des Mannes. Wie er mit dem Finger über ihren Leib gefahren ist, als zeichne er den Weg einer Klinge vor. Seltsamerweise spürt sie wenig Angst. Viel zu wenig. Sie ahnt, dass das an den Medikamenten liegt, die sie bekommt. Doch trotz ihrer Verwirrtheit souffliert ihr Verstand ihr immerzu und unmissverständlich: Er wird dich töten!
    Sie begreift, dass sie hier wegmuss. Raus aus diesem Bett, raus aus diesem Zimmer. Am besten jetzt sofort.
    Liz versucht, sich aufzurichten, aber ihr Körper weigert sich. Na schön, flüstert ihr Verstand, dann schwing doch die Beine aus dem Bett, dann kannst du besser aufstehen. Sie krallt sich mit ihren Händen in das schweißfeuchte Laken und robbt ihren Körper über das Bett, immer weiter nach rechts, an den Rand. Es ist ein Kampf um jeden Zentimeter, aber Aufgeben ist keine Option. Sie denkt an ihre Mutter, stellt sich vor, wie sie ihr spöttisch zusieht, das zuletzt kostspielig geliftete Gesicht steif, die Lippen gekräuselt. »Kind«, flüstert sie herablassend und

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