Schnitt: Psychothriller
Entfernung beobachtet, wie er eigenhändig seinen Hartschalenkoffer aus dem Taxi hievte â eine alte Gewohnheit. Yuri überlieà nie jemandem sein Gepäck. Seine eisgrauen Augen blieben kurz an dem dunkelblauen Passat hängen. Dann schob er die Krempe seines Huts tiefer und eilte in das geduckte zweistöckige Flachdachgebäude von Python Security.
Endlich, dachte Gabriel und stakste am Zaun entlang in die Dunkelheit. Yuri war jetzt wohl der Einzige, bei dem er noch auf Hilfe hoffen kann.
Nach weiteren zehn Minuten ist Gabriel am alten Hinterausgang von Python angekommen, einer zwei Meter fünfzig hohen moosgrünen Gittertür, die in den Angeln festgerostet ist, sich im Gegensatz zum Drahtzaun aber hervorragend zum Klettern eignet.
Gabriel hebt die Hand und winkt in die Infrarotkamera, die oberhalb des Tors befestigt ist, dann streckt er sein Gesicht in die Kamera und legt den Zeigefinger auf die Lippen. Er weiÃ, dass sein bleiches Gesicht gerade wie ein Vollmond auf einem der Monitore in der Zentrale aufleuchtet und Cogan sich wahrscheinlich vor Schreck an seinem Filterkaffee verschluckt.
Seine rechte Schulter schmerzt, als er über die Tür klettert und in den Hof hinabspringt. Er eilt an seiner alten Wohnung vorbei. Rechts liegt die Einfahrt zur Garage, in der immer noch der alte SL steht, den Yuri, seitdem Gabriel ihn repariert hat, nicht ein einziges Mal gefahren hat â als liege ein Fluch auf dem schwarzen Mercedes oder als wolle er partout Gabriels Dank nicht annehmen.
Mit ein paar schnellen Schritten ist er bei der Tür des Hauptgebäudes, öffnet die Verrieglung mit seiner elektronischen Codekarte und eilt in die Zentrale.
Cogan sitzt wie immer hinter seinen Monitoren, leicht vornübergebeugt, mit seinem fliehenden Kinn. Misstrauisch beäugt er Gabriel. »Was machst du hier?«, fragt er. Sein Blick sagt, dass er schon alles gehört hat, sowohl von Gabriels Verhaftung als auch von seiner Flucht.
»Dich fragen, warum du mich so beschissen hängenlässt«, sagt Gabriel.
»Was ⦠Wie meinst du das?« Cogans Gesichtsfarbe wechselt zu einem ungesund fleckigen WeiÃ.
»Na, wie wohl. Ist erst zwei Tage her, da habe ich dir den Arsch gerettet. Bin für dich rausgefahren zum Kadettenweg, und jetzt, wo ich ein Alibi brauche, da zeigst du mir den Mittelfinger und behauptest doch glatt, du wärst selbst da gewesen. Kannst du mir mal erklären, was das soll?«
»Ich ⦠Das hab ich mit Yuri so abgesprochen, das musst du doch â«
»Mir ist verdammt egal, mit wem du was abgesprochen hast. Mann, hier gehtâs nicht um irgendeine Bagatelle. Die wollen mich wegen Mord drankriegen.«
Cogan schluckt und schweigt.
»Ab heute hab ich nicht nur einen gut bei dir, sondern mindestens zwei. Klar?«
Cogan nickt mechanisch.
»Wo ist Yuri?«, fragt Gabriel.
Der Security deutet in die Richtung der Treppe, die ins Obergeschoss führt, wo Yuris Büro liegt.
Ohne Cogan eines weiteren Blickes zu würdigen, stürmt Gabriel an ihm vorbei, die Treppe hinauf ins obere Stockwerk, an den kahlen Wänden vorbei, an denen keine Bilder hängen, nur abwischbare Glasfasertapete. Er stöÃt die Tür zu Yuri Sarkovs Büro auf, platzt ins Zimmer und bleibt mitten im Raum stehen.
Yuri Sarkov thront hinter seinem Schreibtisch. »Komm rein, mein Junge.« Seine Stimme klingt wie immer. Gelassen, ein wenig vorwurfsvoll und ironisch. Seine russische Herkunft lässt ihn das »R« rollen. Die Aufforderung hört sich an wie eine schwermütig leiernde Melodie. »Setz dich. Bitte.«
Gabriel atmet tief durch und sinkt gegenüber von Yuri in einen Stuhl aus Chrom und schwarzem Leder. Das Büro riecht nach kalter Zigarre. Schlagartig fühlt er sich wie ein hitziger Teenager, unbeherrscht und dumm. »Hallo«, murmelt er.
Sarkovs graue Augen mustern ihn kühl. »Die Polizei hat bei mir angerufen, mehrfach.«
Gabriel nickt.
»Ich höre, dass du wegen Mord in U-Haft warst. Und dass du geflohen bist, Polizisten niederschlägst, einen Psychiater entführst ⦠Was zur Hölle treibst du da? Bist du verrückt geworden?«
»Ich weië, versucht Gabriel ihn zu beschwichtigen. »Aber â«
»Wie lange ist das her, dass wir abgemacht haben, dass Schluss ist mit diesem Irrsinn?«
Gabriel schweigt.
»Zwanzig, mein Junge. Es sind zwanzig Jahre. Und du hast
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