Schnitt: Psychothriller
schüttelt den Kopf. »Das schaffst du nie.«
Mit aller Kraft zieht Liz sich weiter über das Bett. Sie denkt an das Kind in ihrem Bauch, stellt sich vor, wie der Embryo in seiner warmen Höhle aus Fleisch schwimmt, völlig ahnungslos, was drauÃen vor sich geht. Ich bring uns hier raus, wispert sie. Sie denkt an Gabriel. Sie erinnert sich sogar an ihr letztes Telefongespräch. Richtig. Sie hatte Geburtstag, und er konnte nicht kommen. Wann war das nur? Und wo ist Gabriel jetzt?
Zentimeter für Zentimeter kommt sie dem Bettrand näher. Sie spürt die kühle Metallkante des Bettes, merkt, wie ihr rechtes Bein auf der Kante liegt, dann ihre rechte Schulter. Jetzt vorsichtig, mahnt ihr Verstand.
Sie versucht, ihr linkes Bein nachzuziehen, es stöÃt gegen das rechte, und plötzlich fällt ihr rechtes Bein aus dem Bett. Sie kann es nicht aufhalten, es fällt einfach, und sie spürt, wie ihr ganzer Körper nach rechts rollt, dem Bein folgt. Es ist wie auf einer Wippe, nein, wie auf einem Baumstamm. Sie liegt auf einem Baumstamm und rollt nach rechts.
Als ihr Körper auf dem Boden des Zimmers aufschlägt, ist sie im ersten Moment verblüfft. Dann durchflutet sie eine Welle von Schmerzen.
Du musst aufstehen, flüstert ihr Verstand.
Nein, sagt ihr Körper. Ich kann nicht.
Ihr wird eiskalt. Der Boden ist so viel kälter als das Bett. Die Decke ist fort, und sie kann sich nicht bewegen. Tränen schieÃen ihr in die Augen. Hättest du dich nur nicht bewegt, schreit ihr Körper, jetzt erfrieren wir.
In diesem Moment rasselt es an der Tür. Nicht jetzt, denkt Liz. Ich muss doch zurück ins Bett. Wenn er mich so findet, wird er mich töten.
Aber es ist zu spät.
Er hat den Raum betreten.
Seine beiden Gesichtshälften sind Engel und Teufel zugleich. Die Ãberraschung verzerrt seine Züge. Er kommt näher, bückt sich und beugt sich über sie. Sie kann seine Zähne sehen, gelb und spitz. Sie weiÃ, dass er sie jetzt schlagen wird â oder irgendetwas viel Schlimmeres. Furcht und Ekel überwältigen sie.
»Das solltest du nicht tun«, flüstert er. »Du wirst dich verletzen. Und ich will, dass du schön bist. Schön für mich. Und schön für ihn.«
Schön für ihn? Der kalte Boden greift mit eisigen Klauen nach ihrem Inneren. Ihn? Wer ist das? Plötzlich erfasst sie eine panische Angst, dass dieser Mann mit dem grauenvollen Gesicht erst der Anfang ist, dass es jemanden gibt, der hinter ihm steht und der noch weitaus mehr zu fürchten ist, und sie kann nichts gegen all das unternehmen.
Fast zärtlich greift der Mann Liz unter die schlaff herabhängenden Arme und unter die Kniekehlen und hebt sie empor. Keine Decke schützt sie vor ihm, und das Leibchen ist beiseitegerutscht. Sie liegt nackt in seinen Armen. Sie sieht sein Gesicht, die schöne Hälfte, und plötzlich ist sie dankbar. Dankbar, dass er sie rettet. Wenn sie schon nicht davonlaufen kann, will sie wenigstens nicht so am Boden krepieren.
Als sie wieder in ihrem Bett liegt, zugedeckt, mit Schläuchen versorgt, verpflastert und gesalbt, als sich der Schlüssel drauÃen im Schloss dreht und sie wieder allein ist, denkt sie: So also ist das. So also beginnt das Stockholm-Syndrom.
Das Neuroleptikum wirkt bereits wieder und trübt ihren Verstand wie Seifenlauge, aber dennoch bemerkt sie die vergitterte dunkle Scheibe knapp unterhalb der Zimmerecke.
Eine Kamera, denkt sie. Dahinter ist eine Kamera! Deswegen hat er bemerkt, dass ich aus dem Bett gefallen bin.
Das nächste Mal warte ich, bis es dunkel ist.
Kapitel 25
Berlin â 3. September, 21:09 Uhr
Die Dunkelheit umhüllt Gabriel wie ein Mantel. Es riecht nach Unkraut, Brombeeren und über den Zaun geworfenem Müll. Das Einzige, was es hier nicht gibt, sind Hundehaufen. Dafür ist das Gestrüpp zu dicht. Mühsam bahnt er sich einen Weg an dem hoch aufragenden Zaun entlang, der die Rückseite des Python-Geländes markiert. WeiÃdorn- und Brombeersträucher reiÃen an seiner Hose und kratzen ihm die Waden blutig. Er hätte nur zu gerne den Vordereingang benutzt, aber kaum zehn Meter vom Rolltor entfernt steht ein dunkelblauer Passat, der nach Zivilbullen stinkt.
Vor etwa zwanzig Minuten war Yuri Sarkov mit einem Taxi vorgefahren, vermutlich direkt vom Flughafen Tegel kommend, wo seine Maschine aus Moskau gelandet war. Gabriel hatte aus sicherer
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