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Schnittstellen

Schnittstellen

Titel: Schnittstellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anja Abens
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richtig?
    Meike
    Reden. Reden. Reden. Ich soll reden und sagen, was los ist, aber wenn ich dann sage, was los ist, werde ich angemotzt. Was soll ich auf die Frage »Wie geht es dir?« antworten, wenn ich »Mir geht es scheiße« nicht sagen darf? Mir soll es gut gehen, also müsste ich lügen. »Mir geht es super!«, soll ich sagen. Da sage ich lieber gar nichts, bevor ich lügen muss.
    Bei meiner Mutter ist es so und bei meinen Lehrern auch, bei meinen Freundinnen vielleicht nicht ganz so extrem. Aber die Erwachsenen wollen, dass man ihnen sagt, man habe ein kleines Wehwehchen, dann können sie ein Pflaster darüberkleben und stolz auf sich sein, stolz darauf, die Welt ein kleines bisschen besser gemacht zu haben. Wenn ich aber nicht von einem kleinen Wehwehchen rede, das sich schnell beheben ließe, sondern die Wahrheit äußere, sage, dass ich, wenn ich eine Waffe hätte, in so vielen Momenten meines Lebens bereits Tausenden von Menschen ihren blöden Schädel weggeschossen hätte, dann wissen sie nicht weiter. Deshalb soll ich so etwas nicht sagen. Dann ist Schweigen eben doch wieder Gold. Ich soll sagen, was sie hören wollen. Das ist aber nicht meine Art. Zu lügen ist einfach nicht mein Ding.
    Jetzt nervt meine Mutter auch noch damit, dass ich doch etwas an die frische Luft gehen könnte, ich ginge so selten raus und sicher kämen meine ganzen Probleme nur daher, dass ich zu wenig Sonne und zu wenig Bewegung bekäme. Bestimmt, das wird es sein. Ich bin schließlich auch immer total ausgeglichen, wenn ich rausgehen muss und habe nie das Bedürfnis, dem Nächstbesten, der an mir vorbeiläuft, ins Gesicht zu schlagen. Dummes Gelaber. Dummes Gequatsche, sie soll mir einfach meine Ruhe lassen.
    »Ich werde was lesen und heute nicht mehr rausgehen, ich hab meine Tage!«, rufe ich meiner Mutter zu, bevor ich die Tür von meinem Zimmer hinter mir schließe. Meine Mutter versteht anscheinend nicht, warum ich mich so mies fühle, wenn ich meine Periode habe. Seltsam, sie müsste doch wissen, wie das ist. Ich finde es absolut grausam, es tut weh. Und wenn es nicht weh tut, dann merkt man trotzdem, wie das Blut aus einem hinausläuft. Ich fühle mich fetter und hässlicher als noch vor drei Tagen, ich fühle mich, als hätte ich in den letzten zwei Tagen zwanzig Kilo zugenommen, und so sehe ich auch aus. Ich hab das oft, wenn ich meine Tage habe, dass ich mich noch abstoßender finde als sonst. Mir bringt die Begründung, dass dieses Gefühl durch meine Menstruation kommt, nicht viel. Meine Schwester und meine Mutter meinen, bei ihnen wäre das ähnlich, aber auch diese Aussagen helfen mir reichlich wenig. Wenn ich mich fett und widerlich, schweineähnlich und zum Kotzen finde, dann hilft es mir nicht weiter, den Grund dafür zu kennen oder zu wissen, dass es anderen Mädchen und Frauen genauso geht. Das ändert ja einfach nichts. Ich bin so froh, dass ich Polly habe, vor ihr ist es mir egal, hässlich und dreckig und fett zu sein, sie blinzelt mir auch zu, wenn ich aussehe wie die letzte fette Schwabbelpennerin. Ich fühl mich von ihr akzeptiert und angenommen. Menschen vermitteln mir das Gefühl nie, nicht wenn ich mich gut fühle und erst recht dann nicht, wenn ich mich schlecht fühle. Menschen schauen einen nicht nur an, sie mustern und bewerten einen. Am liebsten würde ich all diesen Gaffern eine reinhauen, wenn sie meinen, ihre abschätzenden Blicke auf mich richten zu müssen.
    Ich bin auf meinem Hochbett, hier ist es gemütlich und geschützt und ruhig. Ich liege auf dem Bauch, Harry Potter vor mir, und Polly läuft mir über den Rücken, bis sie hinunterrutscht und sich über das Bett davonmacht. Es sieht immer lustig aus, wenn sie über das Bettzeug hüpft. Wenn sie dann schnell sein möchte, macht sie lustige Sprünge, so wie diese Antilopen aus keine Ahnung wo. Nach den ersten drei Seiten kommt Pollyanna und beschnuppert das Buch, sie läuft darüber und hinterlässt ein paar Pipitröpfchen auf dem Papier. Es stört mich nicht. Soll sie mein Buch ruhig markieren. Wenn sie etwas mit ihrem Urin gekennzeichnet hat und nach einiger Zeit wieder dahin zurückläuft, schnuppert sie immer ganz aufgeregt an ihrem eigenen Duft, als ob sie ihn nicht wiedererkennen würde. Das sieht komisch aus, und ich muss jedes Mal über diese niedliche vergessliche Ratte lachen.
    Es ist wunderbar hier zu liegen, Polly im Bettzeug wuseln zu hören und zu lesen. Nach ein paar weiteren Seiten kommt sie wieder angehüpft, diesmal stoppt

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