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Schnittstellen

Schnittstellen

Titel: Schnittstellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anja Abens
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Anläufe, regelmäßig zu essen, aber immer wieder geht es schief. Jeder findet, dass sie keinesfalls schlanker werden darf, aber Meike fühlt sich am wohlsten, wenn sie möglichst wenig isst. Deshalb sind Feiern für sie kompliziert. Alles ist besonders lecker. Und von Natur aus ist Meike ein Mensch, der gutes Essen zu schätzen weiß. Aber Hunger und Sättigung sind anderen Bedürfnissen gewichen, und das macht die Sache schwierig. Ich sehe, wie sich Meike zusammenreißt, vor Anspannung nicht mal über kleine Scherze lachen kann. Mich macht das fertig, sie so zu sehen, ohne es ändern zu können. Doch die lieben Ideen meiner Freunde, die Spiele und das Klavierspiel schaffen es, meiner Aufmerksamkeit eine andere Richtung zu geben. Ich bin gerührt, mir kommen die Tränen bei dem Lied, das für mich eingeübt wurde. Meine großen Kinder und ihre Partner, meine Arbeitskollegen, meine Freunde, alle tragen dazu bei, dass es ein schönes Fest wird. Nur die beiden, mit denen ich unter einem Dach lebe, haben ihre Mühe damit. Aber nein, das ist ungerecht. Karl hat mir intensiv bei den Vorbereitungen geholfen. Wie ich ist auch er mit den Streitereien zwischen mir und Meike überfordert und braucht die Freizeit zum Regenerieren. Mir zuliebe tut er heute sein Bestes und kümmert sich um die Gäste.
    Bei Meike kann ich froh sein, dass sie vor lauter Druck nicht ausrastet, denn die Schule scheint ihr zurzeit wie eine Betonplatte die Luft zum Atmen zu nehmen.
    Ich weine heute aus zwei Gründen, aus Freude, dass mir so viel Gutes getan wird, und aus Traurigkeit, dass wir drei, die wir zusammengehören, uns nicht helfen können.
    Meikes Tagebuch
    I.
    Heute ist der 20. September. Meine Mutter feiert ihren fünfzigsten Geburtstag, und ich wünsche mir zu sterben.
    Mein Leben ist absolut grässlich, sinnlos, erbärmlich und für eine Person wie mich mit einer solch schwachen Psyche nicht weiterhin tragbar. Trotzdem muss ich versuchen, mich zu beherrschen, da ich meiner Mutter den Tag nicht vermiesen will.
    Ich bade mich also in Selbstmitleid und schreibe diesen lächerlichen Text über mein krankes Dasein.
    Die Gäste, vor allem der Familienbesuch, gehen mir maßlos auf die Nerven, die sowieso schon total überstrapaziert sind. Zu meinem Unglück haben meine Eltern weder Schlaftabletten noch irgendeine Art anderer Medikamente, die früher oder später zum Tod oder anderen schlimmen Erkrankungen führen könnten. Ich habe es längst aufgegeben, in unserer Wohnung danach zu suchen. So ist nicht einmal in dieser Lage auf meine Eltern Verlass.
    Über den weiteren Verlauf des Tages mache ich mir keine Gedanken, abgesehen von meinem übertrieben kranken Selbsthass und meiner ständig nervenden Familie sehe ich dem Ganzen recht optimistisch entgegen. Morgen habe ich keinen richtigen Unterricht, da mir die Ehre zuteil wird, mit meinem Lateinkurs eine Exkursion zur Römervilla zu machen. Folglich habe ich keine Hausaufgaben zu machen, jedenfalls nicht für den morgigen Tag, was sehr erleichternd ist. Ich tendiere dazu, wie man wahrscheinlich merkt, wichtige oder unangenehme Sachen immer rauszuschieben, so kann ich mich morgen ausgelassen und frei mit meinen Hausaufgaben beschäftigen, die sich dann zum Doppelten angehäuft haben werden. Ich weiß also schon jetzt, dass es mir dank dieser Tatsache morgen dreckig gehen wird. Aber heute habe ich mit viel Logik den Schwerpunkt meines Leidens auf einen anderen Aspekt verlegt. Sobald ich an meine Wenigkeit denke, bekomme ich Hassattacken und verspüre das Bedürfnis, mich zu verletzen. Dieses lässt sich jedoch gerade gut in Selbstmitleid umwandeln. Selbstmitleid ist wesentlich beruhigender als Selbsthass, obwohl es eigentlich nicht meine Art ist, denn wenngleich ich die schmerzhaften Tatsachen so gut erkennen kann, verdränge ich sie lieber. Es wäre wesentlich effektiver, mir in irgendeiner Art und Weise Schmerz zuzufügen, was, wie schon einmal erwähnt, wegen dem Geburtstag meiner Mutter leider nicht möglich ist.
    Da sich die Vorräte meines Selbstmitleides nach wenigen Stunden erschöpft haben, gehe ich wieder zum Selbsthass über. Dieser fällt mir leichter, wenn er auch schmerzhafter ist. Und so kauere ich am Boden und winsle um den Gnadenstoß, ich flehe im Innern um den Tod, das Ende, doch er ist mir nicht vergönnt. Das Fenster ist gekippt, ich werde, feige wie ich bin, nicht hingehen und es öffnen, um mir selbst die Erlösung zu verschaffen.
    Ich warte hier, kaputt und schwach auf den

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