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Schnittstellen

Schnittstellen

Titel: Schnittstellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anja Abens
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Tod mit der Gewissheit, dass es noch eine Weile dauern wird, bis er eintritt. Ich fühle mich mies.
    Ich habe selbst die Macht, das alles zu beenden, und doch tue ich es nicht. Vielleicht braucht mein kranker Geist die Aufmerksamkeit anderer Leute und ich sollte mich zu meinen Eltern begeben und ihnen eine Szene machen.
    So sorge ich dafür, dass mein Geist überlebt, während der ihre an Unverständnis, Angst und Schuldgefühlen zerbricht.
    Doch ich tue es nicht, denn meine Mutter hat Geburtstag.
    II.
    Wieso kann ich nicht sterben? Jetzt! Ist es so schwer, etwas Sinnloses zu beenden?
    Soll ich mich weiterhin quälen, nur um meiner Mutter einen Gefallen zu tun, der nach dem Tod sowieso seine Bedeutung verlieren wird? Ich habe nicht einmal Zeit für eine gesunde Portion Selbstmitleid! Die ganzen Leute um mich herum! Wieso gehen sie nicht nach Hause, es ist solch ein langweiliger Geburtstag!
    Die ganze Zeit nur fressen, fressen und fressen! Nur kotzen lässt mich niemand!
    Was ist daran so schlimm? Es ist zu einem natürlichen Bedürfnis geworden, ein Bedürfnis, wie es die Nahrungsaufnahme ist. Aber heute kann ich ihm nicht nachgeben, heute muss ich weiter leiden. Morgen ist auch noch ein Tag, genug Zeit also, allem ein Ende zu setzen.
    So allmählich wächst der Hass auf meine Mutter, die immer nur an sich selbst denkt. Ihre vorwurfsvollen Blicke warnen mich. Mach mir nicht meine Feier kaputt, Meike! Na und? Sie macht mir auch alles kaputt.
    Sie macht mich kaputt! Sie kann mir nicht helfen, und sie will es auch nicht. Immer braucht sie Aufregung und redet sich dabei alles schön und gut!
    Aber nichts ist gut, nur will sie es nicht sehen, sie schiebt alles raus.
    Langsam hab ich keinen Bock mehr, auch wenn das asozial ist, soll sie doch mal leiden! Sie hat es tatsächlich geschafft mir einzureden, dass ich das alles nur mache, um sie zu verletzen.
    Also bitte, wenn sie will, soll sie es so haben.
    Anja
    »Es tut mir leid, Mama, dass ich dir nichts geschenkt habe.« Meike steht verlegen vor mir. Ich nehme sie in den Arm und sie lässt es sich gefallen und umarmt mich ebenfalls. Das kommt selten vor. Denn eigentlich mag sie es nicht mehr, berührt zu werden. Nur manchmal haben wir diese Momente. Sie liegt in meinem Arm und ich fühle unsere Zuneigung und ich weiß nicht, was es ist, was so oft dazwischenschlägt. Und ich sage: »Macht doch nichts.« Wenn Meike gerade nicht wie eine Eierschale wäre, hätte ich wohl gesagt: »Ich hätte mich schon gefreut über eine Aufmerksamkeit.« Und ich frage mich, ist sie wie eine Eierschale, weil ich sie so behandele, oder ist sie eine Eierschale und zerbricht, wenn ich mit ihr rede, als wäre sie keine? Ich denke und habe meine Nase in ihrem Haar und fühle unsere Zuneigung und möchte den Moment nicht aufgeben. Aber sie löst sich aus unserer Umarmung. »Doch, tut mir leid«, sagt sie noch einmal, bevor sie sich wieder zurückzieht. Und ich bemerke, dass es mir unheimlich ist, wie knochig sie sich anfühlt. Sie hat einen Sieg errungen an meinem Geburtstag, weil sie nicht zu viel gegessen hat. Sie musste es nicht wieder herauswürgen. Ich bekomme das mit. Ich weiß genau, wenn sie viel isst und dann viel trinkt, wird sie sich danach übergeben, und ich weiß, dass sie alle Beherrschung aufbringt, wenn sie bei großem Essensangebot Maß hält.
    Ich habe selbst zwei Phasen gehabt, in denen ich absichtlich erbrochen habe. Gegen Ende meiner Schulzeit bis zum Anfang meiner Lehre und dann wieder zum Ende meiner ersten Ehe. Wenn mir jemand sagt, Bulimie ist nicht heilbar, so sage ich, er liegt falsch. Bulimie hat was mit deinem Leben zu tun. Sie ist das deutlichste Zeichen, dass dein Leben für dich nicht in Ordnung ist. Wenn dein Leben in Ordnung ist, musst du nicht fortwährend an Essen und Kotzen denken, genauso wenig wie an Alkohol, Kokain, Spielen oder Rauchen. Auch nicht an Diäten oder Putzen. Denn all diese Dinge geraten nur in den Mittelpunkt, wenn dein Leben dich nicht zufrieden stellt. Du suchst eine befriedigende Mitte, die dir fehlt. Warum ist das Leben für Meike nicht in Ordnung? Sie weist all ihre Talente so weit von sich. Jeder, der sie kennt, weiß, wie gut sie zeichnen kann. Schon als Grundschulkind hat sie auf den Hof einen Pegasus gemalt, riesig groß, in den richtigen Proportionen. Von den Balkonen aus konnte man ihn bewundern. Die befreundete Lehrerin aus der Wohnung unter uns sprach mich darauf an. »Dieses Kind ist ja ein Naturtalent, da musst du aber was

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