Schnittstellen
an, dass ich sie hasse, dass ich diese Welt hasse. Aber ich habe das Gefühl, dass meine Worte ins Leere gehen. Ich schreie sie mit aller Wut und allem Hass, den ich habe, an. Ich will, dass sie spüren, was ich empfinde. Ich will, dass sie verstehen, wie kaputt ich mich fühle, wie sehr ich nicht mehr kann und wie sehr ich diese verdammte Welt hasse, auf der diese widerlichen Menschen leben, die mich immer wieder in die Ecke drängen. Merkt ihr nicht, dass ich das alles nicht mehr ertrage?
Meine Eltern scheinen nur Hüllen zu sein, ohne Hirn und Verstand, sie werden immer blasser und durchsichtiger, weil von ihnen nichts mehr zu mir vordringt. Ich lasse sie an mir vorbei reden, weil ihr ganzes Geschwätz nur Antworten auf meine missverstandenen Fragen sind. Diese Antworten brauche ich nicht. Ich brauche ihren dummen Verstand nicht. Es macht mich verrückt. Wie kann ich aus Leibeskräften schreien und doch nicht verstanden werden? Ich weine mich leer und schimpfe und zeige so gut ich kann, wie sehr ich HASSE . Und sie verstehen dennoch nicht. Mein Hals wird vom Rufen wund und ich kann vor Heulen kaum noch sehen, weil meine Augen so verquollen sind. Ich fühle mich immer leerer. Ich habe doch nur meine Worte, mit denen ich versuchen kann, die anderen davon zu überzeugen, mir entgegenzukommen. Es macht mich so wütend, dass diese Worte nicht verstanden werden. Und jetzt sind alle Worte verschwunden. Es gibt keine mehr in meinem Kopf, ich habe sie alle rausgelassen und habe nichts mehr zu sagen. Es war umsonst. Ich bin fertig, ich bin müde, ich kann nicht mehr stehen.
Meine Mutter versteht wie immer nichts. Ich renne aus der Wohnung, die Treppen hinauf und setze mich hin. Vor die Tür zum Dachboden, nur nicht in dieser grauenhaften Wohnung mit diesen gruseligen Menschen zusammen sein. Ich setze mich hin und schlinge die Arme um die Knie. Ich will allein sein. Wenn mich hier doch sowieso niemand versteht, dann will ich hier auch nicht bleiben. Dann habe ich hier nichts verloren.
Stimmen. Stimmen weit weg, angenehme Stimmen. Leise, beruhigend. »Komm mit uns …« Immer wieder die gleichen Worte, das gleiche weiche Bild, Gestalten, angenehm helle Gestalten, reichen mir ihre Hände, lächeln mir entgegen. »Komm mit uns …« Ich möchte so gern zu ihnen. »Nehmt mich mit.« Ich bin erschöpft. Ich gehe ihnen entgegen. Sie kommen nicht näher, sie bleiben in der Ferne sichtbar, und ich gehe weiter auf sie zu. Doch sie bleiben weit weg, umhüllt von hellen, weichen Farben, mit ihren mich willkommen heißenden Händchen und ihrem Angebot: »Komm mit uns …« Ich sehne mich so sehr danach, ihnen zu folgen.
»Meike, Meike, hör mir zu!« Meine Mutter, es ist meine Mutter, die mit mir spricht, sie versucht, mich an sich zu drücken. Aber ich will das nicht. Ich will weiter mit angewinkelten Beinen in dieser Ecke sitzen bleiben und versuchen, denen zu folgen, die mir Wärme und Willkommensein vermitteln. Ich sehe meine Mutter nicht an, es ist dunkel, es ist alles so schwarz. Nur in der Ferne ist dieser helle Ort mit den Gestalten, die immer noch warten, dass ich zu ihnen komme.
»Meike, sieh mich an!« Meine Mutter spricht laut, so laut und so hart, ich will das nicht hören. Ich will gehen und möchte rufen: »Wartet auf mich …«
»Komm mit uns …«, klingt es immer wieder in meinem Ohr. Ich bemühe mich, aber ich komme nicht näher heran. Ich habe keine Eile, keine Hast in meinem Drang, zu ihnen zu gehen, ich fühle mich so ruhig und wohl mit dem Gedanken, irgendwann bei ihnen zu sein, ich habe alle Zeit. »Alle Zeit. Die Zeit, die Zeit. Hier ist die Zeit …«
»Meike, bitte, komm zurück …« Meine Mutter redet immer noch auf mich ein, nur leiser. Sie flüstert fast und beginnt zu weinen. Aber ich will mit diesen fremden Gestalten gehen. »Hier ist die Zeit. Alle Zeit …«, sage ich und will meine Mutter nicht hören, will zu den anderen, deren Stimmen schwächer werden. »Komm mit uns … komm mit …« Sie entfernen sich immer weiter von mir und sind kaum noch zu hören; sie wissen, dass ich es nicht schaffe. Meiner Mutter rinnen die Tränen über das Gesicht. Ich schaue sie an und weine ebenfalls.
Anja
Niemals hätte ich gedacht, dass Berufstätigkeit Erholung sein kann gegenüber dem Zuhausesein. Nicht, dass man in der Schule eine ruhige Kugel schiebt. Ständig ist man dem Ansturm von Jugendlichen, Kollegen und Prüfern ausgesetzt, aber man streift die Familienrollen ab, und das ist tatsächlich
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