Schnittstellen
machen!«
»Ich werde nichts machen«, habe ich damals gesagt, »denn jedes Mal, wenn ich unseren Kindern etwas nahelege, von dem ganz offensichtlich ist, dass sie darin gut sind oder es mögen, verwerfen sie es. Förderung bekommt meinen Kindern nicht.« Und das war nicht dahergesagt.
Anna, Jonas und Marvin hatten Talente und Hobbys, die wir unterstützt haben, und die sie selbst abrupt abbrachen. Bei Meike war es nicht anders: Geige Schluss, Kunstrad Schluss, Reiten Schluss, Klavier Schluss … Zeichnen nicht Schluss. Auch wenn Meike immer betont, dass sie nicht zeichnen kann, dass es »nichts« ist. Sie kann nichts und sie ist nichts und in dieser Leere bleibt nur das Denken ans Essen. Mir ist kalt. Warum kann ich meinem Kind nicht helfen?
Meike
Es tut mir gut zu zeichnen. Ich zeichne gern. Meistens irgendwelche Figuren zu Geschichten, die ich mir mit meiner Freundin zusammen ausdenke. Wir erzählen uns gegenseitig, welche Charaktere uns vorschweben und die zeichnen wir dann. Jeder für sich. Trotzdem ist es wichtig, dass wir dabei zusammensitzen. Ich zeichne aber auch häufig, wenn ich allein bin. Manchmal habe ich gar keine Lust, etwas zu zeichnen, fange dann aber doch an. Und wenn ich fertig bin und auf die Uhr schaue, sind ein, zwei Stunden vergangen, ohne dass ich es bemerkt hätte. Wenn ich etwas gezeichnet habe, womit ich einigermaßen zufrieden bin, fühle ich mich gut. Vielleicht weil ich etwas geschafft habe. Und weil ich eine Zeit lang mal nicht über irgendeinen Mist nachdenken muss, der mich nervös macht. Ich zeichne und denke an die Geschichte, die zur Zeichnung gehört, oder denke nichts. Zeichnen macht mir Freude.
»Mit dem Zeichnen solltest du mal etwas anfangen, da kannst du mehr draus machen«, sagte meine Mutter vor ein paar Tagen. Wieso? Ich zeichne irgendwelche doofen Striche, die dann irgendwelche doofen Figuren ergeben. Nichts Besonderes.
Immer, wenn ich mir eine Zeichnung anschaue, die schon älter ist, frage ich mich, was ich mir dabei gedacht habe. Warum gefiel sie mir? Ich weiß es dann oft nicht mehr. Bei den neueren Zeichnungen wird es nicht anders sein. Sie sind nicht gut. Ich find sie nur in dem Moment schön, wenn ich meine, dass sie so geworden sind, wie ich sie haben wollte.
Was will meine Mutter bloß wieder von mir? Was soll ich denn aus den Zeichnungen machen? Klopapier? Immer dieser Blick nach vorn. Immer dieses noch besser werden. Verdammt, kann sie mich nicht in Ruhe lassen!
Es ist immer dasselbe. Mit der Musik war es auch so, dabei bin ich musikalisch total unbegabt. Ich höre gern Musik, klar, aber sonst? Trotzdem habe ich begonnen, Geige zu lernen. Am Anfang hat es auch Spaß gemacht und meine Eltern haben mich unterstützt. Doch warum reicht es nicht, wenn sie sich erkundigen, wie der Unterricht war, und dass sie mich üben hören? Nein. Nicht, wenn das Kind doch so schön spielt, dass es etwas vorspielen kann. Dann hören sie irgendwann nicht mehr auf, mehr zu fordern.
Mir hätte es gereicht, schlecht Geige zu spielen und dabei Spaß zu haben. Doch das geht natürlich nicht. Wenn es keine Steigerung gibt, dann sollte man es lassen. Das ist dieses nervige Erwachsenending: Man macht etwas, nicht um Spaß dabei zu haben, sondern um darin besser zu werden. So ein großer Kackhaufenschwachsinn.
Und jetzt fängt meine Mutter auch noch beim Zeichnen damit an. Mann! Warum musst du mir alles nehmen, was mir Freude macht?
Anja
Das ist also Der Zeichner , zurzeit Meikes Lieblingsbuch. Meike läuft zu Hause nur noch mit nackten Füßen und hochgekrempelten Jeans herum, wie der Held des Buches, der auch ständig barfüßig geht. Ich habe Wäsche in ihr Zimmer gebracht und das Buch lag neben dem Bett auf dem Boden. »Das musst du auch mal lesen«, hat sie noch gestern geschwärmt. »Der Typ in dem Buch ist ein Zeichner. Der hat total viel Scheiße erlebt. Und eines Tages werden die Dinge, die er zeichnet, Wirklichkeit.«
Die Comicfigur auf dem Cover schwingt eine blutige Axt wie einen Pinsel. Ich setze mich auf Meikes Bett und blättere die ersten Seiten um.
Mein Name ist Gregory Lynn. Ich bin fünfunddreißig Jahre alt, ich bin Waise, Junggeselle, wurde mit viereinhalb Jahren Einzelkind. Ich habe Schuhgröße 45, bin 1,88 Meter groß und wiege 86 Kilogramm. Ich bin nicht unbeholfen: Es ist nur so, dass mein Körper vom Gehirn ausgesendete Signale manchmal falsch interpretiert. Ich habe ein braunes und ein grünes Auge.
Ich blättere weiter und überfliege hier und
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