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Schnittstellen

Schnittstellen

Titel: Schnittstellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anja Abens
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Mädchen ihre Essstörungen verklären und sich gegenseitig anfeuern, noch dünner zu werden? Trifft sie Verabredungen zum Selbstmord? Hat sie Kontakt zu Satanisten? Wenn ich in ihr Zimmer gehe, wird sie aggressiv.
    »Was willst du? Spionierst du mir hinterher? Willst du sehen, was auf dem Monitor ist?«
    Eigentlich will ich nicht sehen, was auf dem Monitor ist, ich komme aus völlig anderen Gründen zu ihr, aber ihre Unterstellung macht mich misstrauisch. Ich will ihre Privatsphäre wahren und habe Angst, dass das ein Fehler ist. Ich will stark sein und merke, wie ich immer mehr abbaue. Ich habe mich sogar an eine Therapeutin gewandt. Aber es war anscheinend nicht die richtige. Ich halte es nicht gut aus, wenn jemand hinter mir sitzt und kaum redet. Ich hatte nicht das Gefühl, dass mir die Sitzungen irgendetwas gebracht haben. Ich würde am liebsten mit Meikes Therapeutin reden, die ist mir sympathisch, aber sie ist Jugendtherapeutin. Meike fährt regelmäßig hin. Manchmal will sie nicht, aber meistens nimmt sie den Termin wahr.
    Bei den unregelmäßigen Gesprächen, die Meike, Karl und ich gemeinsam mit Frau Hendricks führen, fühle ich mich wohl. Sie strahlt eine Gelassenheit aus, die den Raum füllt. Bei ihr scheinen die Uhren still zu stehen, und das tut gut. Ob Meike wirklich Fortschritte macht, kann ich nicht beurteilen. Es geht ständig auf und ab, habe ich den Eindruck. Ich komme nach Hause und alles ist gut, oder ich komme nach Hause und die Hölle ist los. Meike kann ohne Übergang vom freundlichen Engel zum wutschnaubenden Teufel wechseln. Und ich stehe fortwährend in dem Zwiespalt zwischen Verständnis und Strenge. Wenn ich Meike maßregele, kann sich die Auseinandersetzung, die das nach sich zieht, zu einem regelrechten Zweikampf auswachsen. Wir brüllen uns an und schlagen die Türen. Meikes Zimmertür ist schon völlig aus dem Leim. Karl möchte immer, dass ich mich zurückhalte, denn das bringt doch nichts, meint er. Aber kann man einem Kind jedes Benehmen durchgehen lassen? Selbst wenn es sich schlecht fühlt?
    Meike
    Ich chatte viel. Es stört mich nicht, mit Menschen zu reden, solange sich die Gespräche auf den Monitor meines PCs beschränken. PC aus. Menschen weg. Kein Problem. Ich will andere Menschen nicht sehen und ich will auch nicht, dass sie mich sehen. Aber vielleicht hat meine Mutter doch recht damit, wenn sie meint, dass man in Isolation verrückt wird. Sich mit anderen auszutauschen ist vielleicht doch besser, als allein mit seinen Gedanken zu sein. Immerhin chatte ich nicht in irgendwelchen dummen Chats, in denen doofe Spackojungen blöde Spackotussis suchen. Das ist so was von dämlich! Und es gibt viel zu viele von diesen »Hi, bin fünfzehn und dumm und suche w, vierzehn, auch dumm«-Laberchats. Viel zu viele! Und verschwindend wenige gute Chats. Chat666. Wunderbar, das ich den gefunden habe! Ich bin kein Satanist oder so, auch wenn diese Zahl immer damit in Verbindung gebracht wird. Ich trage gern Schwarz, find die Welt scheiße und denke daher, dass ich zu diesen Leuten noch am ehesten einen Draht habe, wenn überhaupt zu irgendwem. Ich bin kein Grufti, ich hasse es auch, wenn andere Leute denken, ich sei einer. Ich finde Punks und Gruftis doof, ich finde alles doof, was die Gesellschaft verhöhnt und dabei doch eine eigene, ebenso dumme Gesellschaft darstellt. Die Punkszene hat ihre Normen und Werte und die Gruftiszene ebenso. Da heißt es nur nicht: »Ey, so schwarz gekleidet kannst du hier aber nicht rein, das ist viel zu gruselig!«, sondern: »Ey, mit den bunten Klamotten kommst du hier schon mal gar nicht rein, viel zu kindisch.« Absolut das Gleiche! Beides schwachsinnig! Ich will nirgendwo zugehören. Ich will einfach nur tragen, was ich schön finde, und machen, was mir gefällt, und sagen, was ich richtig finde, und damit eine eigenständige Person sein. Keine Gesellschaft. Jedenfalls habe ich jetzt endlich einen Chat mit einem größeren Prozentsatz an Leuten gefunden, mit denen ich quatschen kann. Mit allen versteht man sich natürlich nicht, aber meist ist es lustig. Ich sitze oft bis zwei Uhr morgens am PC und tausche mich mit irgendwelchen Leuten über alles Mögliche aus. Manchmal auch über oberflächlichen Mist.
    Anja
    O Mann, wann in meinem Leben hört das eigentlich auf, immer beinahe durchzudrehen, aber so zu tun, als hätte man alles im Griff? Die anderen erleben mich immer so, als ob ich alles am besten wüsste, dabei bekäme ich manchmal selbst gern

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