Schnittstellen
befänden, was natürlich die Beleidigung anderer Personen nicht rechtfertige. Aber können die Kinder nicht miteinander reden, sich entschuldigen und versprechen, auf die besondere Empfindlichkeit anderer im Zweifelsfall Rücksicht zu nehmen? Nein, das geht nicht. Frau König und die Lobby der Beleidigten verlangt Genugtuung. Klassenkonferenz und Pipapo.
Meike hat nichts gegen Nadine. Aber sie mag Marco. Mit ihm kann sie gut reden. Schade, dass er mit seiner Familie umzieht. Inzwischen kann ich dem Internet auch gute Seiten abgewinnen. Meike geht wenig raus, aber sie hat Kontakt zu einigen Klassenkameraden über ICQ .
8. KAPITEL
Meikes Tagebuch
Die Schule schafft mich. Ich schaffe die Schule nicht. Haha. Gar nicht zum Lachen! Der arme Marco und diese Putzi-Nadine. Mimt auf hilfsbedürftig, und schon flattert Frau K. um sie herum. Kotz! Die Schule ist schrecklich, und meine Mitmenschen sind es auch. Der Tag war schlimm. Ich fühle mich schlecht, ich fühle mich zum Kotzen. Es ist spät und ich will nur noch ins Bett und schlafen, aber ich kann nicht. Heute geht anscheinend gar nichts. Ich hab den ganzen Tag nichts Sinnvolles gemacht. Gemäßigt zu essen habe ich natürlich auch nicht geschafft. Die Schule nervt. Mit anderen Menschen komme ich nicht zurecht. Wieso muss ich Dinge tun, die ich nicht kann? Ich setze mich aufs Bett. Meine Eltern sind im Wohnzimmer. Wäre es ruhig, könnte ich bloß den Fernseher hören. Aber es ist nicht ruhig. In meinem Kopf ist es nicht ruhig, und mein Herz ist erst recht nicht still. Es schlägt und schlägt. Als wolle es raus. Und aus meinem Kopf will nichts raus. »Ich bin scheiße. Ich bin zu nichts nutze. Ich packe das alles nicht. Ich verzweifle an der beschissenen Schule, weil ich zu blöd bin für alles.« Eins nach dem anderen. Ohne Pause. Mein Hirn macht mich verrückt. Und mein Herz dazu. Alles unruhig, alles zitternd, alles viel zu stark. Ich kann so nicht schlafen! Aber ich will doch. Ich will doch nur schlafen. Schlafen und nicht mehr aufwachen. Die Hoffnung stirbt zuletzt! »Geh schlafen, Meike, und wenn du Glück hast, wachst du nicht mehr auf.« Aber ich kann nicht schlafen. Ich gehe ins Bad. Keine Ahnung, wo ich die Rasierklingen gelassen habe, aber ich werd schon neue finden. Ich weiß gar nicht, wozu mein Vater diese losen, offenen Rasierklingen überhaupt hatte. Was soll es, es sind keine mehr zu finden. Es war so klar! Wenn man etwas dringend braucht, ist es nicht da. Es gibt nur den Kopf des Rasierers, klar, sind da Klingen drin. Die müsste ich bloß erst mal rausbekommen. Ich gehe in die Küche und hole eine Schere. Ich setze mich an meinen Schreibtisch, schneide die Seiten des Rasierkopfes auf und trenne die Bänder zwischen den Klingen. Dumme Arbeit. Echt nervig. Man kann diese Teile gar nicht Klingen nennen. Es sind vielmehr schmale, an einer Seite immerhin scharfe Streifen. Ich setze mich wieder auf mein Bett, die Rasierstreifen lege ich auf meine Beine. Ich lehne meinen Rücken an die Wand, nehme dann eine Rasierklinge in meine rechte Hand, der linke Unterarm liegt ruhig auf meinem Oberschenkel. Ich balle die linke Hand zur Faust und setze mit der Rasierklinge an, ich ziehe sie schräg über meinen Unterarm zu mir hin. Leicht. Ein blasser, dann roter dünner Streifen. Atmen. Endlich atmen. Richtig atmen. Tief einatmen, wieder ausatmen. Das tut so gut. Mein Herz schlägt schneller. Schneller. Keine Angst, keine Verzweiflung. Sondern Aufregung, Vorfreude, Erwartung, mein Herz schlägt erwartungsvoll. Ich greife die Rasierklinge fester. Setze wieder an. Ich ziehe die Rasierklinge über meinen Arm. Stärker. Der Streifen ist weiß. Es sieht aus, als habe die Haut nur auf einen Einschnitt gewartet, um ihre Spannung zu lösen, sie klafft bereitwillig auseinander. Dazwischen dieser weiße Streifen. Ein weißer Streifen, mit Struktur, wie man sich Gewebe so vorstellt. Gewebt. Durch kleine, vermeintliche Löcher und Spalten tritt das Rot aus. Der Schnitt füllt sich mit Blut, bis es über seine Kanten hinausquillt. Ganz sanft. Langsam. Dunkelrot. Wieder atmen. Richtig atmen. Noch ein Schnitt. Wieder atmen. Frei atmen. Noch ein Schnitt. Und mit jedem Atemzug wird mein Herz wieder ruhiger. Nicht mehr so viel Blut zu pumpen. Nicht mehr dieses rote Leben durch den sterben wollenden Körper zum todwünschenden Hirn pumpen. Es wird ruhiger. Mein Arm blutet. Blutet. Das erwarte ich gar nicht. So viel Blut. Bei den paar Schnitten. Ich suche Taschentücher. Eins finde
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