Schnupperküsse: Roman (German Edition)
dein Pferd – du musst sie versorgen.«
Ich hätte sie nicht mitnehmen dürfen, sondern zumindest in Erwägung ziehen sollen, sie bei Adam zu lassen … vielleicht aber auch nicht, so wie seine Stimmung in letzter Zeit ist. Ich weiß nicht. Warum ist es so schwer, Eltern zu sein?
»Ich helfe dir, Georgia«, sage ich. »Komm, Bracken!«
Georgia bindet sie draußen vorm Stall fest, nimmt ihr die Schweifbandage und Transportgamaschen ab und wirft ihr eine Decke über, bevor sie sie in den Stall führt, wo ein sauberes Bett aus Streu auf sie wartet.
»Was braucht sie noch?«, frage ich.
»Ihr Heunetz.«
»Wie viel Heu?«
»Fünf Pfund.«
»Warum wird bei Ponys immer noch alles in imperialen Maßeinheiten berechnet und nicht in metrischen?«, frage ich.
Georgia runzelt die Stirn.
»Ach, egal.« Ich gehe in den Stall nebenan, taste nach dem Schalter und mache das Licht an. Ein schwaches, gelbes Licht fällt auf die gestapelten Ballen. Ich ziehe ein Bündel Heu aus dem offenen Ballen, der auf dem Boden steht, drücke es in ein Heunetz und wiege es auf der Gepäckwaage ab, die Georgia mit orangefarbenem Erntegarn am Dachsparren festgebunden hat. Ich liebe den Geruch von Heu – er erinnert mich an Sommer.
Ich hänge das Heunetz für Bracken auf, während Georgia einen Eimer mit Futter holt. Dann stehen wir nebeneinander an der Tür und schauen ihm beim Fressen zu. Georgia hakt sich bei mir unter und schaut zu mir hoch.
»Danke, Mum«, sagt sie und lächelt. »Danke, dass Bracken und ich an dieser Rallye teilnehmen konnten.« Trotz der Kälte schmilzt mein Herz, als sie fortfährt und sagt, »Das war der schönste Tag meines Lebens.«
»Das freut mich«, antworte ich, und ich wirbele sie durch die Luft und drücke sie an mich.
»Ich bin soooo glücklich, dass du meine Mum bist.«
»Und ich bin noch viel glücklicher, dass du meine Tochter bist.« Ich lege den Arm um ihre Schulter, und gemeinsam gehen wir über den Hof ins Haus. »Georgia, hast du Lucky bellen gehört?«, frage ich sie, da ich es vielleicht überhört habe. Normalerweise bellt er immer, wenn jemand auf der Auffahrt vorm Haus auftaucht. Oder kommt, wenn er draußen im Garten ist – obwohl bestimmt nicht viele Hunde, die etwas auf sich halten, bei diesem Wetter unterwegs sind – zur Begrüßung angerannt und schnüffelt an den Füßen.
Als wir hereinkommen, hat Sophie schon die Speisekammer geplündert und sitzt mit Schokoladenkuchen im Mund am Tisch. Der AGA verströmt eine wohlige Wärme.
»Adam«, rufe ich. »Wo ist Adam?«, frage ich Sophie. »Hast du ihn oder Lucky gesehen?« Ich spüre, wie sich meine Stirn zu einem Runzeln verzieht. Ich war davon ausgegangen, Adam wäre zu Hause.
»Nein«, erwidert Sophie und zuckt gleichgültig mit den Schultern. »Den Fernseher kann ich aber hören.«
Während ich Mantel und Schal ausziehe, gehe ich durch den Vorraum und den Flur ins Wohnzimmer. Der Fernseher ist an. Auf Comedy Central. Von Adam oder dem Hund keine Spur. Ich schaue mich im Zimmer um.
»O.K., Adam. Du hast deinen Spaß gehabt, aber jetzt ist genug …« Wie aufs Stichwort ertönt aus dem Fernseher Gelächter vom Band, den ich daraufhin ausschalte. »Adam!«
»Er ist nicht da, Mum«, klärt mich Georgia auf. »Er ist auch nicht in seinem Zimmer.«
»Wo ist er dann?«
»Wahrscheinlich mit Lucky spazieren.«
»Natürlich.« Ich versuche, mir keine Sorgen zu machen, doch bereits nach fünf Minuten halte ich es nicht mehr aus und rufe ihn auf seinem Handy an, das allerdings ausgeschaltet ist oder dessen Akku leer ist, was wahrscheinlicher ist. Ich schaue auf meine Armbanduhr – halb vier. Höchstwahrscheinlich macht er gerade seinen Abendspaziergang mit Lucky, bevor es dunkel wird. Ich bin töricht. Adam ist vierzehn. Er kann auf sich selbst aufpassen.
Ich mache mir noch eine weitere halbe Stunde Sorgen und lenke mich ab, indem ich die Kartoffeln fürs Abendessen schäle und die beiden Hochzeitstorten, die gerade in der Speisekammer stehen, mit Brandy tränke. Sie bestehen aus insgesamt fünf Etagen, die ich nebeneinander auf die Arbeitsplatte stelle. Ich ziehe die Klarsichtfolie oben ab und fahre mehrmals mit einem Holzstab in die Kuchen hinein, bevor ich die Flasche öffne, um den Messbecher das erste Mal zu befüllen. Als der Brandy langsam und klebrig aus der Flasche läuft, fällt mir auf, wie dunkel und dickflüssig er ist. Ich halte den Messbecher an meine Nase, doch statt des typischen durchdringenden Alkoholgeruchs
Weitere Kostenlose Bücher