Schnupperküsse: Roman (German Edition)
ich bin deine größere Schwester und habe damit ältere Anrechte.«
»Ich dachte, wir würden uns auch ein paar Hühner zulegen«, sage ich. »Nach denen kannst du ja dann schauen, Sophie. Wir werden jeden Tag frische Eier haben.«
Der Vorschlag scheint sie zufriedenzustellen.
»Und was soll ich jetzt den ganzen Tag machen, Mum?«, fragt mich Adam, während die beiden Mädchen nach draußen gehen.
»Ich weiß nicht. Wie wär’s mit etwas Eigeninitiative?«
»Wäre ich zu Hause, könnte ich jetzt mit Josh zum Skate park gehen …«, sagt Adam traurig. »Ich hasse diesen Ort. Es ist so langweilig hier.« Dann hellt sich seine Miene auf. »Wir könnten doch losfahren und nach einem Hund schauen?«
»Ich denke, das kann noch eine Weile warten«, meint Dad. »Ich glaube, deine Mutter hat gerade genug um die Ohren. Ich habe bei dem Gerümpel in der Scheune Möbel gefunden, die vielleicht ins Wohnzimmer passen. Ich hätte gegen zusätzliche Muskelkraft nichts einzuwenden.«
Ich sehe, wie Adam vom Tisch hochschaut, sofort seine Armmuskeln anspannt und auf seine Bizeps schielt, die, um ehrlich zu sein, noch nicht wirklich ausgeprägt sind, obwohl er sie trainiert. Ich habe ihn neulich mit Hanteln erwischt, die er sich von einem Freund geliehen hat.
»Sieht so aus, als hättest du dafür genügend Muskeln, junger Mann«, lockt ihn mein Vater. Schmeicheln funktioniert immer, denn im nächsten Augenblick steht Adam auf, um sich die Zähne zu putzen, bevor er ihm hilft.
Mum und ich putzen weiter und packen die Kisten aus. Nachdem wir in der Küche fertig sind, ist das Bad an der Reihe. Mittags machen wir eine Pause und arbeiten danach noch ein paar Stunden weiter, bis wir nicht mehr können.
»Ich weiß ja nicht, nach was dir der Sinn steht, Jennie, aber ich werde mich ein bisschen hinlegen«, sagt Mum. »Ich habe letzte Nacht nicht wirklich gut geschlafen.«
»Dann geh in mein Zimmer«, schlage ich schuldbewusst vor, da sie und Dad auf den Luftmatratzen schlafen mussten, während ich oben in meinem Bett lag. »Ich werde für fünf Minuten in den Garten gehen.«
Ich nehme mir einen Liegestuhl, schlage ihn hinten auf dem Rasen auf und liege zwischen hohem Gras und Wildblumen, die, wie es aussieht, überhandgenommen haben. Hier und da kann ich Dad und Adam durch das offene Wohnzimmerfenster hören, wie sie darüber diskutieren, wo sie ein altes Korbsofa am besten hinstellen. Ich höre auch das galoppierende und wiehernde Geräusch der Mädchen, während sie auf der Koppel Pony spielen, und das gelegentliche Schreien, wenn sie sich über die Feinheiten des Reitens nicht einig werden können. Die Sonne wärmt meine Haut, und die Vögel, die am Ende meines Grundstücks oben auf dem Hügel über den knorrigen Eichen fliegen singen. Ganz am Ende der Koppel ist ein Gelände, das der Makler als Obstgarten bezeichnete. Ich zähle die mit Äpfeln vollhängenden Apfelbäume und komme auf elf. Dann schließe ich meine Augen und höre den in der Nähe summenden Bienen zu. Endlich schaffe ich es, mich zu entspannen. Genau nach dieser Idylle hatte ich gesucht. Alles ist perfekt, bis …
»Mum … Mummy! Sieh doch nur!« Ich werde aus meinem Nickerchen gerissen und höre die aufgeregten Schreie meiner Töchter. »Sie kommen, um dich zu holen.«
»Sie? Wen meint ihr?«
»Die Kühe!«
Ich greife nach den Armlehnen meines Liegestuhls und halte mich an ihnen fest, um die Lage zu sondieren. Ich bin umzingelt von rotgrauen und weißen Kühen, die einen Halbkreis um mich gebildet haben und mich wie eine Gruppe von Großtanten unter die Lupe nehmen. Sie schauen mich mit ihren dunklen, sanften Augen an, aus ihren Nasen tropft Wasser. Eine stößt auf und beginnt zu kauen, dabei bewegt sich ihr Kiefer von links nach rechts. Eine andere legt sich hin, streckt eine sehr lange Zunge heraus, fährt mit ihr um ein Büschel Gras, reißt es heraus und schluckt es mit einem Mal herunter.
Bisher war ich einer Kuh nur als Zaungast in einem Streichelzoo oder als Stück Fleisch auf einem Teller so nahe gekommen. Sie sind viel größer, als ich sie in Erinnerung habe, und sehen für mich alle gleich aus. Das Beunruhigendste allerdings, finde ich, ist die Art, wie sie sich langsam auf mich zubewegen, währenddessen noch mehr Kühe hinter ihnen gemächlich in den Garten stapfen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich fliehen, gegen sie kämpfen oder auf meinem Liegestuhl bleiben soll.
»Kühe sind d-doch Vegetarier, oder?«, frage ich stotternd. In dem
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