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Schock

Titel: Schock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter Evan
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geklemmt, sie würde lächeln und ermutigend nicken – ja, mein Sohn, geh hin und jage den Tiger.
    Er betrat einen Zigarrenladen und ging direkt in die Telefonzelle. Er warf ein Zehncentstück ein und wählte ihre Nummer. MO 6-2367. Seine Hand am Hörer zitterte. Er hörte das Telefon am anderen Ende der Leitung klingeln, dann war Glorias Stimme im Hörer, und sein Herz krampfte sich zusammen.
    »Hallo?« sagte sie.
    »Hallo, wie geht es dir?«
    »Ja, wer ist denn dort?«
    »Ich bin es wieder.«
    »Wer zum Teufel ist ich?«
    »Das weißt du doch. Ich war heute morgen bei dir.«
    »Und was willst du? Noch ein Handgeld?«
    »Nein, Gloria, ich dachte …«
    »Mein Mann ist bei mir«, sagte sie kurz und hängte auf.
    Einen Moment lang konnte er nicht glauben, daß er ein totes Telefon in der Hand hielt. Er starrte den Apparat an, als wäre er von ihm betrogen worden; dann legte er den Hörer wieder auf und saß bewegungslos in der Zelle. Das weiße Gesicht der Wählscheibe grinste ihn an. Plötzlich ballte er die Faust und hieb gegen den Münzautomaten; dann nahm er seine Tüten und trat wieder auf die Straße hinaus.
    Ich wollte dir doch nur sagen, was ich vorhabe, dachte er. Ich meine, ich hatte das Gefühl, vielleicht – ja, vielleicht interessiert es dich, was dein Sohn vorhat. Was sollte also das Gerede von einem Handgeld? Wer brauchte denn etwas von dir? Ich bin jetzt groß, weißt du, ich schaffe es allein! Daß ich es allein schaffen muß, wußte ich seit jenem Tag in Yokohama. Ach, ich habe dich schon vor langer, langer Zeit verlassen; was also gibt dir ein Recht, so mit mir zu sprechen? Mir zu sagen, daß dein Mann bei dir ist? Dein Mann war schon immer bei dir – soll das etwas Neues sein? Wer braucht dich denn überhaupt – oder ihn? Jetzt ist Grace bei mir; sie wird das Knurren und Fauchen lernen, und wir werden so weit und so schnell rennen, daß keiner von euch beiden wissen wird, wo wir sind oder ob wir je existiert haben!
    Er nickte verächtlich und machte sich auf den Rückweg in die Wohnung.
    In einem Taxi an der nächsten Ecke wartete die blonde Frau im schwarzen Cocktailkleid.

16
    Zuerst begriff er nicht, daß die Frau ihn meinte. Das Taxi parkte am Rinnstein, und als er daran vorüberging, drehte sie die Scheibe herunter, lehnte sich aus dem Fenster und rief: »He, Sie da! Kann man Sie zur Strecke bringen?«
    Die Pakete in den Armen, warf er einen Blick über die Schulter und sah, daß außer ihm niemand in der Nähe war. Und wie um die Frage, die ihm auf der Zunge lag, zu beantworten, sagte die Frau im Taxi: »Ja, Sie! Ich rede mit Ihnen.«
    Er trat näher an das Taxi heran und schaute hinein. Die Frau mochte um die Mitte Dreißig sein; sie trug ein sehr tief ausgeschnittenes schwarzes Cocktailkleid und beugte sich so achtlos vor, daß ihr Rock über den Knien hochrutschte. Einen Moment lang kam ihr Gesicht ihm vertraut vor; dann begriff er, daß die Ähnlichkeit nur Einbildung war. Der Widerschein der Neonbeleuchtung einer Bar an der Ecke milderte die Schärfe ihrer Züge im düsteren Wageninnern. Ihr blondes Haar war kurz geschnitten, auf der einen Wange ringelte sich eine kunstvoll frisierte Locke, eine verwirrte Strähne hing über der anderen. Um Kinn und Nase der Frau lag ein harter Zug. Ihr Mund, der jetzt zu ihm herauflächelte, vermittelte, zusammen mit den kräftig aufgetragenen Lidschatten, einen Eindruck von Lebenserfahrung, den nicht einmal das weiche Neonlicht verwischen konnte. Einerlei, wie sie einmal ausgesehen haben mochte – mit achtzehn, zwanzig, mit zweiundzwanzig, mit achtundzwanzig – alles war längst überdeckt von einer lackglatten Oberfläche äußerlicher Eleganz; mehr noch: eine Art zynischer Weisheit schien in ihren Augen zu funkeln.
    »Was sagten Sie?« fragte er.
    Die Frau lächelte noch immer. »Ich fragte, ob man Sie zur Strecke bringen kann«, sagte sie. Sie sprach undeutlich; im gleichen Moment spürte er den Alkoholdunst und begriff, daß sie zumindest angetrunken war. »Ich bin auf Jagd und soll einen hochgewachsenen Mann in blauem Anzug mitbringen. Haben Sie Lust dazu?«
    »Wohin sollen Sie ihn bringen?« fragte er.
    »Nach Oyster Bay.«
    »Das ist eine Überlandfahrt, meine Dame«, sagte der Fahrer über die Schulter. »Ich hoffe, Sie wissen das.«
    »Sie halten sich gefälligst ans Fahren.«
    »Ich machte Sie nur darauf aufmerksam, daß es eine Überlandfahrt ist.«
    »Soll ich mir etwa Ihre Nummer notieren?«
    »Hören Sie«, erwiderte der

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