Schock
selber war. Edward Vossler. Im Geist wiederholte er den Namen. Es lag nichts Vertrautes darin, doch wer konnte er sonst sein? Hatte der Zeitungsartikel nicht Vosslers scheinbar normales Verhalten erwähnt, nur gelegentlich unterbrochen durch ausgesprochen ungewöhnliche Reden und Handlungen? Hatte er sich nicht selber merkwürdig – nun, ein wenig verrückt – verhalten, indem er auf offener Straße einen Fremden anhielt und ihn fragte, was ein A-und-R-Mann wäre? Indem er über eine Stunde mit einem Jungen am Fluss verbracht hatte? Indem er in einem Taxi hinter einem fremden Mädchen (Das ist kein fremdes Mädchen, gottverdammt! Das ist Doris! Ich kenne sie!) hergejagt war und nun wartete, daß sie das Haus auf der anderen Straßenseite wieder verließ?
Er warf einen schnellen Blick durch die offene Tür über die Straße. Noch zeigte das alte Haus ein verschlossenes Gesicht. Er wandte sich wieder der Zeitung zu und las den Artikel zum vierten Mal. Natürlich, dachte er. War meine Einstellung zu Di Palermo etwas anderes als ein paranoisches Symptom? Schwerer Verfolgungskomplex, nun gewiß – weshalb hätte ich sonst zweiundzwanzig Dollar so wichtig genommen? Zweiundzwanzig lausige, erbärmliche Dollar – dabei gebe ich Jahr für Jahr Tausende aus! Das also, dachte er. Größenwahn! Und was sollte mein Benehmen gegenüber Mr. Schwartz, der mir das Frühstück bezahlen wollte? Wer zum Teufel verhielt sich so, wenn nicht ein ausgebrochener Irrer namens Edward Vossler, ich also, ich selbst, verdammt, ich, ich! Bin ich es? Er dachte nach.
Bin ich wirklich Edward Vossler? Und wenn ich es bin, was zum Teufel mache ich dann? Soll ich die Nummer anrufen und mich in dieses schreckliche Haus zurückbringen lassen? Welches schreckliche Haus? Wie wüsste ich von seinen Schrecken, wenn ich nicht wirklich Edward Vossler wäre, der entsprungene Geistesgestörte, wie nannte ihn die Schlagzeile noch, einen Schizo? – Ja, ›Schizo flüchtet aus Anstalt auf L. I.‹. Es lag fast Poesie darin. Anstalt auf L. I. Er entsann sich einer Schlagzeile, die er in der Daily News gesehen hatte, vor langer Zeit – wie kam es, daß er sich aller dieser dummen, belanglosen Nebensächlichkeiten seines Lebens entsinnen konnte, unerheblicher Randverzierungen, nicht aber der wirklich wichtigen Dinge: etwa, ob er nun Edward Vossler war oder nicht, ein entsprungener Geistesgestörter, Irrer, Schizo oder was er auch sein mochte? Die Schlagzeile war erschienen, als die Leute auf Cap Kennedy eine Rakete gestartet hatten, die weiße Mäuse enthielt. Die Rakete sollte bis zur Landung der Mäuse Funksignale zur Erde senden, aber diesen übergescheiten Weltraumingenieuren war das Experiment glorios missglückt, die Rakete sandte keinerlei Signale, und es sah aus, als seien die rotäugigen kleinen Nager dazu verurteilt, ewig im Weltenraum zu kreisen. Die Schlagzeile der Daily News – wie kam er nur darauf, daß er die Zeitung nicht mochte? Hatte ihn die Schlagzeile nicht einen ganzen Tag lang erheitert? – hatte damals gelautet:
RAKETE STUMM,
MÄUSE VERSCHOLLEN.
Welch ein Prachtstück von einer Schlagzeile! Der Mann, der sie geschrieben hatte, hätte eine Medaille verdient und eine Konfettiparade im offenen Wagen die Fifth Avenue hinunter, Seite an Seite mit Bürgermeister Wagner, der den Hut zog und ihn wie ein Bettler der Menge hinstreckte.
Ich muß verrückt sein, dachte er. Da sitze ich hier vor einer Tasse kaltem Kaffee, mit Milch und einem Stück Zucker – sagte Gloria nicht, ich tränke ihn schwarz? Sam trinkt ihn schwarz – und denke an eine Schlagzeile, die ich vor Jahren las, während die Schlagzeile direkt vor mir behauptet, ich sei ein Verrückter, der irgendeinem Anstaltsleiter einen guten blauen Anzug (und zweifelsohne auch seine goldenen Manschettenknöpfe und die Krawattennadel) gestohlen hat und als schwerer Fall schizoider Paranoia mit Verfolgunskomplex und Größenwahn herumläuft? Wo zum Teufel bleibt Doris? Ob sie überhaupt wieder herauskommt?
Plötzlich schien sie seine einzige Rettung – Doris, im Haus an der anderen Straßenseite, mit ihren langen Beinen und dem flatternden Schopf; Doris wußte alle Antworten. Er würde warten, bis sie herauskam, und dann würde er einfach sagen: »Hi, Doris! Kennst du mich nicht? Ich bin der verrückte Ed Vossler. Wir kannten uns, bevor sie mich in die Anstalt steckten. Weißt du noch? Ich erzählte dir damals von all den Hackebeilmorden, die ich plante. Komm, das weißt du
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