Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schock

Titel: Schock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter Evan
Vom Netzwerk:
Amsterdam Avenue und Broadway streckte sich nur ein kurzes Straßenstück, gesäumt von zerfallenden braunen Mietshäusern, umgeben von einem neuen Baukomplex, der sich dem Bau des Lincoln Center anschloss. Der Parkplatz an der Ecke zum Broadway hieß Philharmonie, der Riesenbau hinter ihm nannte sich Lincoln Square Motor Inn. Weiter die Straße hinauf ragte im rechten Winkel zu ihr ein riesiges Apartmenthaus, das sich Lincoln Towers nannte. Inmitten dieses kulturinspirierten Glanzes duckten sich die alten Mietshäuser wie Schaben unter einem neuen, blanken Küchenausguß, als erwarteten sie, von der Stadtplanung zerquetscht zu werden. Dennoch stellte Buddwing fest, daß die Leute in der Straße ihren Geschäften nachgingen, als passiere nichts um sie herum – nichts, das ihr gewohntes Leben bedrohen konnte.
    Eine Frau im Bademantel, ein Tuch um den Kopf, führte einen Pudel an der Leine. Der Hausmeister von nebenan fegte den Gehsteig. Aus einem der Häuser kam ein Mädchen in engem, kurzem Rock, zwei leere Milchflaschen in den Händen, und eilte zum Broadway hinüber. Verkehrsgeräusche klangen auf: das Röhren von Bussen, das feinere Surren der Autos, das ächzende Klappern eines Pferdefuhrwerks, das um die nächste Ecke kroch. Eine müde Schläfrigkeit umgab das Pferd, den Wagen – den ganzen Tag. Die Stadt war zwar aufgewacht, doch es war Samstagvormittag; noch herrschte keinerlei Hast. Die Stadt hatte sich aus ihrem warmen Bett gewälzt, der erfrischenden Frühlingsbrise, die leise mit den Gardinen spielte, ein Fenster geöffnet, die milde Luft eingeatmet und dann in aller Gemächlichkeit ihr Frühstück verzehrt. Und nun kam sie aus den Häusern, um den Tag zu begrüßen, wach, aber nicht in Eile, noch lässig gekleidet; es war Samstag; wenn die Sonne sank, würde Samstagabend sein und sie würde in all ihrer Eleganz ihren Vergnügungen nachjagen – doch vorerst war noch Zeit, den Gehsteig zu fegen, den Hund auszuführen, die Frühstücksmilch aus dem Eckladen zu holen und müßig einem Pferdefuhrwerk nachzuschauen, das in langsamer Fahrt die Straße entlangrasselte. Der braune Pferderücken war vom Sonnenlicht vergoldet. Weiter oben auf der Straße wurden Vorbereitungen zu einem Schlagballspiel getroffen, ohne jede Eile, es in Gang zu bringen. Gelassen prüfte man die Besenstiele, die als Schläger dienen sollten; der eine war am dickeren Ende gesplittert – schlechthin unbrauchbar. Dann hüpften Bälle auf dem Asphalt; der rosa Gummiball sprang am höchsten, mußte aber noch geprüft werden – zwei Hände, die zwei Bälle gleichzeitig fallen ließen, einen weißen, einen rosa, dann traf man die Wahl. In aller Gemächlichkeit wurden die Seiten des Spielfeldes ausgelost – eins, zwei, drei, gestreckte Finger, geballte Faust. Die Jungen standen geduldig im Kreis, während die Spreu vom Weizen gesondert wurde, ein magerer Junge mit Brille war der letzte und fügte sich zögernd, aber willig in die Rolle des Zukurzgekommenen. Dann wurde mit aller Sorgfalt das Spielfeld auf die Straße gezeichnet, die Kreide ging zu Ende, man mußte zu anderen Farben greifen; Feld 3 leuchtete grellgelb auf dem Asphalt, blasses Grün markierte den Schlagplatz. Probeschläge, Probewürfe füllten die Zeit, dann wurden die Schläger von neuem geprüft und ein roter Besenstiel endgültig ausrangiert; ein anderer ausgedienter Besen wurde geholt, gegen den Hydranten geschlagen, um den Draht zu lockern; dann wurde der Draht, der die Binsen hielt, sorgfältig abgewickelt, die Binsen schließlich weggeschüttelt. Der neue Schläger wurde geprüft und schien den Anforderungen zu genügen, das Spiel konnte beginnen. Und immer noch keine Eile. Es war Samstagvormittag; selbst ein Schlagballspiel konnte ohne Hast vonstatten gehen.
    Er würde warten müssen, bis Doris wieder herauskam – schließlich wußte er nicht genau, wohin sie gegangen war; er konnte kaum an fremden Wohnungstüren klingeln und nach ihr fragen. Er entdeckte eine Milchbar auf der anderen Straßenseite und beschloß, dort eine Tasse Kaffee zu trinken, nahe der offenen Tür, so daß er die Front des Mietshauses beobachten konnte. Er überquerte die Straße – keine zwanzig Meter von ihm entfernt begann das Schlagballspiel – und sah zuerst nur die elektrische Uhr im Fenster der Milchbar. Es war neun Uhr und zehn Minuten. Vor der Milchbar entdeckte er einen Zeitungsständer; der Gedanke, eine Zeitung zu kaufen, gefiel ihm; er blieb vor dem Ständer stehen und

Weitere Kostenlose Bücher