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Schock

Titel: Schock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter Evan
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Augen waren geschlossen; noch atmete sie heftig, die Hände fest auf ihre Brüste gepresst.
    Nach einer Weile stand er auf und begann sich anzuziehen. Sie sah ihm wortlos zu, mit angezogenen Beinen auf dem Bett liegend, die helle Kurve ihrer Hüfte eine negative Silhouette vor der dunklen Wand, den Kopf auf eine Hand gestützt. Fertig angezogen, ging er zur Küchentür, löste die Kette und schloß die Tür auf.
    Er warf ihr einen kurzen Blick zu. Noch immer lag sie auf dem Bett, bewegungslos, schweigend, den Kopf auf die Hand gestützt, Zorn und Angst zugleich in den grünen Augen.
    »Leb wohl«, sagte er, klar und eindeutig.
    »Ich wußte es«, erwiderte sie; und er trat ins Treppenhaus und schloß die Tür.

9
    Er stürmte hastig die Treppen hinab, getrieben von einer Wut, die an Ekel grenzte, von dem Drang, so schnell wie möglich von diesem Mädchen wegzukommen, unsicher, weil er nicht wußte, wohin er sich wenden sollte, erbittert, weil er sich auf den zerwühlten Laken ihres Bettes von neuem verloren hatte. Er wußte nicht, was er von diesem Mädchen erwartet hatte – eine gefühllos mechanische Begegnung in einem fremden Zimmer, das Bild ihres Bruders am Bett, jedenfalls nicht. Etwas spürbar Fremdes, Abweisendes war von ihr ausgegangen und hatte sich auf ihn übertragen; so konnte, was sie miteinander taten, nur Krieg sein – was zum Teufel hatten sie eigentlich zu beweisen versucht? Plötzlich wurde ihm klar: zumindest ein Teil seines Zorns war Enttäuschung. Auf eine erfahrene Frau war er nicht vorbereitet gewesen; er hatte ein Mädchen begehrt, das ihn nicht belog, scheu und ergriffen unter seinen Händen, seinem Werben erliegend wie Doris vor so langer Zeit. Dieses Mädchen, Janet, in den Kleidern, in dem Körper seiner Doris, hatte Unschuld versprochen und Erfahrung geboten. Mehr noch, sie war ihm auf eine Art begegnet, die er nicht verdiente. Sie hatte ihm Hass entgegengebracht – nein, keinen Hass, ein Begehren, ja, ein Begehren, so blind wie sein eigenes; sie hatte gewußt, daß er ihren Hunger nicht stillen konnte, und gerade das hatte sie ihm von vornherein zum Vorwurf gemacht. Jede Bewegung ihres Körpers war zu einem Peitschenschlag geworden, jeder Seufzer zu einer dringenden Bitte, die er abweisen mußte, noch bevor sie ausgesprochen war. Es hätte ganz anders sein können; und nur deshalb hasste er sie jetzt. Und dennoch – kühle Überlegung, die ihn noch mehr in Wut brachte, sagte ihm: nie, niemals hätte es anders sein können; er war ein Narr gewesen, sich etwas anderes zu erhoffen als das, was vorgefallen war.
    Von Hass und Zorn erfüllt, ging er den Broadway hinauf; er wußte nicht, wohin er ging, es kümmerte ihn nicht. Er riß drei Streichhölzer an, bis seine Zigarette endlich brannte, warf die Zigarette dann fort und betrat den Untergrundbahnhof an der Sechsundneunzigsten Straße. Er sah niemanden an. Eine eisige, trennende Hülle von Zorn und Selbstmitleid umgab ihn; wer ihm begegnete, war ein Hindernis, etwas, das er überwinden, etwas, das er beiseitestoßen mußte, etwas, das zwischen ihm und dem Ort stand, an dem zu sein er sich wünschte.
    Er wußte nicht, was er im Central Park zu finden hoffte – nicht einmal, ob es ihm gelingen würde, die Bank wieder zu finden, auf der er in aller Morgenfrühe erwacht war. Er wußte nur, daß diese Bank für ihn etwas war wie der Ort seiner Geburt und daß seine Begegnung mit Janet ihn tief erschüttert hatte: nicht nur seine Identität war nun in Frage gestellt, sondern zugleich auch seine Existenz. Es drängte ihn, die Bank wieder zu finden, sich zu versichern, daß er dort am Morgen erwacht war, daß es wirklich etwas Reales in seinem Leben gab.
    Zu seiner Überraschung fand er die Bank ohne jede Schwierigkeit; sie schien ein wenig verwitterter, als er sie in Erinnerung hatte, zeitvernarbt und hinfällig. Eine alte Frau und ein alter Mann saßen auf ihr im hellen Sonnenschein. Sie las eine Zeitung; er saß mit zurückgelegtem Kopf und geschlossenen Augen, die knorrigen Hände auf dem Knauf seines Stockes. Buddwing sah die Bank und das alte Paar und fühlte sich auf eine seltsame Art enteignet; es drängte ihn, hinzugehen und den alten Leuten zu sagen: »Entschuldigen Sie, aber das ist meine Bank, hier bin ich geboren, verstehen Sie mich?« Noch immer war er bedrückt, doch jetzt drohte ihm echte Verzweiflung. Während er an der Bank schnell vorüberging, war ihm, als wäre er nahe daran, auch die jüngsten Erlebnisse wieder zu

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