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Schock

Titel: Schock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter Evan
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es.«
    Ihr Bruder hieß Dan; der deutsche Schäferhund wurde Duke gerufen. Er hasste sie beide auf den ersten Blick. Dans Haar und das Fell des Hunde hatten die gleiche Farbe: ein bösartig scheckiges Braun. Dans Augen waren braun und mißtrauisch; Dukes Augen hatten genau die gleiche Farbe, und in ihnen glitzerte die Paranoia. Dan sprach mit grollender Kehlstimme, die irgendwie tief aus seinen Eingeweiden hervorzudringen schien; und zu allem, was Dan sagte, lieferte Duke eine dauernde knurrende Begleitung wie ein Echo in einem rattenverseuchten Kanalrohr.
    Manchmal nachts, wenn er sich von Grace verabschiedet hatte und zu schlafen versuchte, dachte er an Dan und Duke, und in seinen Vorstellungen wechselten beide ineinander über. Welches war der Hund, welches der Mensch? Oder waren sie beide Hundemenschen? Eine verwickelte Phantasie braute sich in ihm zusammen, in der Dan und Duke als Geheimwaffen des Landheeres fungierten, speziell dazu ausgebildet, alle ehemaligen Marinemänner, deren sie habhaft werden konnten, umzubringen; vor allem, wenn sie mit Dukes – Dans – Schwester befreundet waren. Der besondere Trick bestand darin, daß keiner von ihnen ein echter Mensch war und keiner ein echter Hund. Das Opfer wußte nie, wer von den beiden das Zeichen zum Töten gab, wer ihm an die Kehle springen würde. In seiner Vorstellung streichelte Dan manchmal Dukes Kopf und flüsterte ihm zu: »Braver Junge, spring zu! Recht so, faß!« Ein andermal lag Dan ausgestreckt zu Dukes Füßen, und Duke kraulte ihm, leise Todesdrohungen flüsternd, sanft das Genick. Daß Duke ein Hundesohn war, wußte er; was Dan betraf, mußte er sich auf Mutmaßungen verlassen.
    »Wie alt sind Sie?« fragte Dan, als sie einander zum ersten Mal begegneten.
    »Weshalb wollen Sie das wissen?« sagte Buddwing, und Duke knurrte. Er starrte den Hund an. »Was ist mit ihm los? Mag er keine Leute?«
    »Nichts ist mit ihm los.«
    »Und warum knurrt er dann?«
    »Er knurrt nicht, er spricht«, sagte Dan. »Und ich habe Sie gefragt, wie alt Sie sind.«
    »Ich habe mir die Gegenfrage erlaubt, weshalb Sie das wissen wollen.«
    »Weil Sie mit meiner Schwester gehen, klar? Sie ist noch ein Kind.«
    »Sie ist achtzehn.«
    »Also noch ein Kind.«
    »Finde ich nicht.«
    »Wirklich nicht? Sie ist aber zufällig meine Schwester.«
    »Und?« sagte Buddwing und beobachtete beide gespannt, als erwarte er von einem das tödliche Signal, vom anderen, daß er ihm an die Kehle spränge. »Ich gehe schließlich nicht mit Ihnen und Ihrem sprechenden Polizeihund, ich gehe mit ihr.«
    »Eben. Und ich finde, Sie sind zu alt für sie.«
    »Ich bin einundzwanzig«, sagte Buddwing.
    »Das will ich wetten«, erwiderte Dan, höhnisch grinsend; gleichzeitig, wie auf Stichwort, grinste auch der Hund.
    »Für wie alt halten Sie mich denn?«
    »Mindestens fünfundzwanzig.«
    »Damit liegen Sie leider nicht richtig.«
    »Wann sind Sie geboren?«
    Eine irre Sekunde lang beherrschte Buddwing der Wunsch, zu schwindeln. Unter der akuten Bedrohung, die ihn aus den Augen der beiden Hundemenschen angrinste, drängte es ihn, zu sagen, er wäre 1842 geboren und in Wirklichkeit hundertvier Jahre alt; er hätte geheime Verjüngungstabletten genommen und sich dadurch die Mannbarkeit und das Begehren nach achtzehnjährigen Mädchen bewahrt. Doch Duke grollte warnend; vielleicht war es auch Dan.
    »Ich bin am zehnten Januar 1925 geboren, wenn Sie es genau wissen wollen«, sagt er. Dann fügte er impulsiv hinzu: »Ich bin Steinbock.«
    »Wir haben jetzt 1946«, sagte Dan. »Demzufolge wären Sie einundzwanzig – vorausgesetzt, daß Sie nicht lügen.«
    »Warum sollte ich lügen?«
    »Hören Sie, Freund, Sie legen mich nicht herein. Sie haben schon allerhand hinter sich.«
    »Und?«
    »Und meine Schwester nicht.«
    »Soll ich Ihnen etwas sagen?« fragte Buddwing.
    »Und was?«
    »Eines Tages werde ich Ihre Schwester heiraten. Was halten Sie davon?«
    »Wie?«
    »Ja«, sagte Buddwing und nickte. »Bereden Sie's mit Ihrem gottverdammten Köter.«
    Das Restaurant lag an der Sechsundfünfzigsten Straße, war klein, französisch und nicht überfüllt. Sie saßen an einem Tisch am Fenster und beobachteten, wie sie sinkende Sonne die Fenster der anderen Straßenseite in Messing verwandelte. Sie konnten den Himmel nur in den reflektierenden Scheiben sehen – eine in Rechtecke zerteilte Fläche, zunächst golden und feuerrot, dann in ein mattes Lila verblassend, jedes Rechteck spiegelte sein eigenes

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