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Schock

Titel: Schock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter Evan
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einen Haarschnitt nötig«, sagte sie nebenbei, las ihm aus einem Artikel über Nantucket von der Reiseseite vor, durchblätterte dann den Innenteil der Zeitung – »da ist ein Mann von einem Hai gebissen worden. Glaubst du, daß es hier auch welche gibt?« –, hielt endlich inne, um die Anzeigen zu studieren, »gefällt dir dieses Kleid?«, und schob ihm das Blatt zu; er lag neben ihr, die Augen vor der harten Grelle des milchweißen Himmels geschlossen. »Eigentlich könnte ich es schneiden«, sagte sie.
    »Was könntest du schneiden?«
    »Dein Haar.«
    »Nein, danke«, sagte er.
    »Auch gut. Sieh nur, sie bringen schon Herbstsachen. Magst du Tweed?«
    »Ja.«
    »Warum willst du nicht, daß ich dir das Haar schneide?«
    »Weil du keine Friseuse bist.«
    »Du siehst schlimm aus«, sagte sie. »Regelrecht zottig. Lass es mich schneiden, bitte.«
    »Warum?«
    »Weil ich es irgendwie aufregend finde«, sagte sie und zuckte die Achseln.
    Er drehte den Kopf, sah sie an; der Himmel hinter ihr war hell. Er blinzelte zu ihr hinauf. Ihr langes blondes Haar war zur Seite gekämmt und dort zu einer dicken Strähne geflochten, die ihr wie zufällig über die Schultern fiel. Die Sonnenbrille saß auf ihrer Nasenspitze, die braunen Augen spähten erwartungsvoll über den Rand, ihren Mund umspielte ein kleines vertrautes Lächeln. Sie setzte sich auf, die Beine unter sich gezogen, mitten im Durcheinander der Sunday Times-Seiten, die ringsum auf der Decke verstreut waren, blond, sonnengezeichnet, selbstbewusst aufrecht, die schmalen Hände im Schoß gefaltet, geduldig wartend.
    »Wieso ist dir so plötzlich nach Aufregendem zumute?« fragte er.
    »Am Strand ist das immer so«, sagte sie.
    »Ach?«
    »Aber ja.«
    »Und wo bekommen wir eine Schere her?«
    »Ich habe eine in meinem Korb.« Sie griff nach dem Korb, und er faßte nach ihrer Hand.
    »Du hast sie absichtlich mitgebracht, nicht wahr?« sagte er.
    »Nein. Ich wollte an meinem Wandbehang arbeiten.«
    »An was?«
    »An meinem gehäkelten Wandbehang. Du weißt, daß ich daran arbeite, also mach nicht so ein erstauntes Gesicht. Ich häkele schon lange daran.« Er lachte auf, und sie sagte: »Was gibt es denn da zu lachen?«
    »Weißt du, was häkeln bedeutet?«
    »Nein, was denn?«
    »Etwas, das mit Sex zu tun hat«, sagte er.
    »Ach?«
    »Doch, wirklich.«
    »Solche Dinge fallen dir ständig ein, nicht wahr? Nur, damit ich das Gefühl habe, sehr jung und unschuldig zu sein.«
    »Nein, wirklich. Häkeln, das heißt …«
    »Ja, ja, ich weiß«, sagte sie.
    Sie holte die Schere aus ihrem Korb, und er setzte sich, ohne zu protestieren, vor sie hin; sie schnitt ein großes Loch in die Sunday Times und stülpte sie ihm wie einen Frisierumhang über den Kopf. Dann kniete sie hinter ihm und betastete seinen Kopf mit gespreizten Fingern. »Du hast aber mächtig große Ohren, weißt du das?« sagte sie. »Sie stehen richtig von deinem Kopf ab.«
    »Warum schneidest du sie nicht einfach ab?« schlug er vor.
    »Gott, Clark Gable hat auch große Ohren«, sagte sie und seufzte resigniert.
    »Und einen Schnurrbart. Meinst du, daß ich mir einen wachsen lassen sollte?«
    »Nein.«
    »Dann ist es vielleicht besser, du schneidest die Ohren ab.«
    »Vielleicht. Wozu sollen große Ohren ohne Schnurrbart gut sein?«
    »Eben.«
    »Schön, fangen wir an«, sagte sie.
    »Hör mal …«
    »Mmmm?«
    »Lass keine Löcher.«
    »Du meinst, wo die Ohren waren?«
    »Nein, ich meine, wo das Haar war.«
    »Mach dir keine Sorgen«, sagte sie. »Ich glaube, für so etwas habe ich Talent. Wirklich, das wird ein bildschöner Haarschnitt.«
    »Also gut …« gab er unsicher nach; dann hörte er das Klicken der Schere hinter seinem rechten Ohr und schloß die Augen. Er hörte nur den metallischen Rhythmus der Schere und Graces Atmen, und irgendwo dahinter das ferne Rauschen des Meeres, nicht das übliche Geräusch wütender Brecher, sondern nur ein dumpfes Murmeln wie in einer Muschelschale. Klick, machte die Schere hinter seinem Ohr, klick, klick. Er fühlte die Sonnenhitze auf dem bloßen Kopf, klick, klick, klick; sie arbeitete mit zunehmender Sicherheit. »Oh, das wird wirklich sehr hübsch«, sagte sie. »Eine wahre Pracht.«
    Er grinste und fühlte, wie ihn ein seltsames Behagen durchrieselte. Das monotone Klicken der Schere schläferte ihn nahezu ein. Einmal wandte er sich zu ihr um – »ja, Mister, diesmal hätte ich fast dein Ohr erwischt« –, und er sah den konzentrierten Ausdruck ihres

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