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Schockgefroren

Schockgefroren

Titel: Schockgefroren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Buzmann
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nicht darauf vorbereitet, wie gefährlich die Welt ist; ein Kinderzimmerregal voller muskelbepackter Krieger, die einem dann auch nicht mehr helfen können; Polizisten, die ins Haus kommen und wissen wollen, was ein Mann mit seinem Pimmel macht, wenn er einen kleinen Jungen in seiner Gewalt hat. Die den kleinen Jungen dazu zwingen, das Protokoll des Unsagbaren mit einem Satz abzuschließen, der mich in helle Wut versetzt:
    Selbst gelesen, genehmigt und unterschrieben. Sascha Buzmann.
    Ja, das ist meine Unterschrift. Es ist die Unterschrift eines neunjährigen Jungen, der sich auch nach 86 Tagen Arschficken noch darum bemüht, schön zu schreiben. Auf einmal will ich schreien vor Zorn, aber ich kann nicht. Stattdessen sage ich ganz ruhig: »Ich war wie gefroren. Ich war schockgefroren. Ich glaube, ich bin es noch immer.«

Ich liege weinend auf dem Boden,
und der Mann beugt sich über mich. Er packt mich, zieht mich hoch, versetzt mir ein paar schallende Ohrfeigen.
    »Ich kann dich auch die ganze Nacht weiterschlagen«, sagt er, »oder wir tun jetzt, was ich will.«
    Seine Worte verwirren mich. Was soll das heißen, die ganze Nacht? Wir waren doch die ganze Nacht unterwegs gewesen, sind über die Felder geirrt. Ist die Nacht denn nicht vorbei? Oder wird die Nacht nie zu Ende gehen? Und was meint der Mann mit »Wir tun jetzt, was ich will?« Was will er denn? Ich soll mich ausziehen, aber wieso? Ich glaube nicht länger daran, dass er mir trockene Kleider geben wird. Hier sieht es überhaupt nicht so aus, als ob es trockene Kleider gibt. Ich war noch nie an einem derart schmutzigen Ort. Alles ist feucht, klamm, riecht modrig. Außerdem ist es schrecklich kalt. Ich habe Angst. Ich habe furchtbare Angst! Wieder holt der Mann mit dem Arm aus. Er ist schnell. Er ist stark. Seine Hand trifft mich ins Gesicht, wieder falle ich zu Boden. Dieses Mal bleibe ich nicht liegen. Ich springe auf. Ich schreie, versuche, den Mann mit beiden Armen wegzustoßen. Worte kommen aus meinem Mund, die ich nicht verstehen kann. Ich stemme mich gegen den Mann, doch er bleibt stehen wie ein Fels. Ich kann ihn nicht bewegen. Er lacht. Er umklammert meine Handgelenke wie eiserne Fesseln. Er zieht mich in die Höhe. Ich verliere den Boden unter den Füßen. Ich zapple, versuche ihn zu treten. Er lacht noch lauter. »Du willst also kämpfen«, sagt er. »Na schön.«
    Er lässt mich los. Er lässt mich einfach los, und ich falle, komme ungeschickt auf dem Fuß auf, ein Schmerz durchzuckt mich. Wieder liege ich am Boden. Jetzt springe ich nicht mehr auf, jetzt will ich nicht mehr kämpfen. Ich rolle mich zusammen, mache mich ganz klein, verdecke mein Gesicht mit den Armen. Wenn ich ihn nicht sehen kann, kann er vielleicht auch mich nicht sehen. Der Mann stößt mich mit dem Fuß an.
    »Schluss mit den Mätzchen«, ruft er. »Sonst knallt’s.« Doch das tut es nicht. Im Gegenteil, er entfernt sich. Ich höre ihn im Wohnwagen rumoren. Er beginnt vor sich hin zu brabbeln, unzusammenhängendes Zeugs. Immer wieder taucht der Satz auf »die können das nicht mit mir machen, das können die nicht mit mir machen, mit mir können die das nicht machen«, in allen Variationen. Plötzlich steht er wieder neben mir.
    »Los jetzt«, sagt er, »aufstehen, keine Mätzchen, zieh die Klamotten aus.«
    Ich folge nicht. Ich bleibe liegen. Ich bin in einer anderen Welt. In dieser Welt gibt es mein Zimmer und meine Masters-of-the-Universe-Figuren, da gibt es He-Man und Skeletor. Es gibt meine Mama und meinen Papa, der wird spielend leicht mit dem fremden Mann fertig. Es gibt meine Schwester Jenny, mit der ich Rollschuh laufen gehe, es gibt meinen Schulranzen, der gepackt werden will für die Schule morgen. Es gibt meinen Freund Thorsten, und es gibt einen halb verwesten Kadaver, und es gibt einen Schuh, der da hineintritt, dass Gedärme spritzen. Es gibt Thorstens Stimme, die ruft: Das hat dich! Das hat dich! Und es gibt meine entsetzte Frage: Was? Was hat mich?
    Die Hand des fremden Mannes packt mich am Kragen. Sein Gesicht taucht vor meinem auf, ich blicke in seine Augen. Die sind kalt und ohne Glanz. Der Mann presst seinen Mund auf meinen. Seine Zunge versucht, sich einen Weg zwischen meine Lippen zu bahnen. Vor Entsetzen muss ich würgen. Er lässt von mir ab, lacht. Warum lacht er? Warum tut er das? Warum bin ich mitgegangen, warum habe ich nicht geschrien, warum habe ich der Stimme vertraut, die sagte, wenn du wegläufst, fängt er dich und erschlägt dich mit

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