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Schockgefroren

Schockgefroren

Titel: Schockgefroren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Buzmann
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einem Stein? Warum vertraute ich darauf, dass es Gott war, der mit mir sprach? Was ist, wenn es der Teufel war, der mich getäuscht hat? Was ist, wenn dieser Mann der Teufel ist? Wer anders als der Teufel könnte er sein? Lässt Gott mich allein? Warum habe ich ihm vertraut, wo ich ihn noch nie gesehen habe? Aber den Teufel sehe ich, ich sehe ihn vor mir, er hat die Gestalt dieses Mannes angenommen, er umklammert meinen Körper und küsst mich, und dieses Mal lässt er auch nicht von mir ab, als es mich würgt. Immer tiefer dringt seine Zunge in meinen Mund, während er versucht, mir die Kleider vom Leib zu reißen. Noch einmal wehre ich mich, zapple und trete um mich, aber es ist aussichtslos. Ich bin so klein, und er ist so groß; ich bin so schwach, und er ist so stark; ich bin ein neunjähriger Junge, und er ist der Teufel. Das war es, was Thorsten meinte – das hat dich, das hat dich –, im Kadaver hat er es gesehen. Auf einmal wird mir klar, dass ich verdammt bin. Auf einmal weiß ich, dass ich keine Chance habe. Wie kann ich mich gegen den Teufel wehren? Alle Kraft weicht aus mir, ich höre auf zu strampeln. Ich werde ganz schlaff, und für einen Augenblick scheint der fremde Mann überrascht zu sein. Er nimmt seinen Mund von meinem, er sieht mich mit seinen kalten, glanzlosen Augen an und sagt: »Na also. Wirst du endlich vernünftig.«
    Dann lässt er mich wieder zu Boden fallen.

Der Reporter meint, mein Verschwinden habe die größte Suchaktion aller Zeiten ausgelöst. Er reicht mir einen Packen Zeitungsausschnitte. »Wo ist der kleine Sascha?«, prangt mir eine Überschrift entgegen. Auf einmal spüre ich eine entsetzliche Müdigkeit. Obwohl ich mindestens fünf Tassen Kaffee getrunken habe, seit mein Gast hier ist, kann ich kaum noch die Augen offen halten. Der Reporter merkt, dass es mir zu viel wird. »Ich lasse Ihnen alles da«, sagt er. »Wir sprechen später weiter.«
    Ich antworte nicht. Ich weiß nicht, ob ich die Schlagzeilen aus der Vergangenheit in meiner Wohnung haben will. Ich weiß auch nicht, ob ich mich weiter mit dem Reporter unterhalten möchte. Ich bin erschöpft. Dann höre ich, wie ich »Ist gut« sage. Dabei ist gar nichts gut. Aber ich reiche dem Reporter die Hand und begleite ihn zur Tür. Wir vereinbaren, dass wir telefonieren. Dann bin ich allein. Auf einmal überkommt mich Panik. Ich schließe die Tür zwei Mal ab, gehe zu allen Fenstern und kontrolliere, ob sie ebenfalls fest verschlossen sind. Um den Packen Zeitungsausschnitte schlage ich einen großen Bogen. Doch sie ziehen mich an wie ein Magnet. Auf einmal stehe ich vor ihnen, nehme sie mit spitzen Fingern, trage sie zum Schrank. Dort, in der untersten Schublade, ist ihr Platz, dort stecke ich sie rein. Wie Mama das getan hat, denke ich. Ins Büfett, in die unterste Schublade! Ich wende mich um. Meine Wohnung liegt vor mir, und außer dem Kaffeefleck auf dem Teppich zeugt nichts davon, dass etwas anders sein könnte als vor zwei Stunden. Aber alles ist anders. Dinge sind in Bewegung geraten. Ich spüre, wie daraus eine Lawine entstehen kann. Ich muss vorsichtig sein, denke ich. Ich muss behutsam sein und achtsam. Die Welt ist gefährlich. Die Vergangenheit ist gefährlich. Gefährliche Dinge sollte man ruhen lassen. Ich setze mich aufs Sofa und schalte den Fernseher an. Mit der Fernbedienung in der Hand klicke ich mich durch die Programme. Ein paar Hundert Programme hinauf, ein paar Hundert Programme hinunter. Ich sehe nicht, was läuft, ich höre nicht, was gesagt wird. Ein Fußballspiel. Eine Rate-Show. Ein Spielfilm. Irgendwann bleibe ich bei einem Verkaufssender hängen. Eine Moderatorin bietet Kochtöpfe an. Ich könnte ein paar Kochtöpfe kaufen, denke ich, ich koche gerne, und wer gerne kocht, braucht Kochtöpfe. Ich besitze zwar schon alle Arten von Töpfen, aber warum sollte ich mir nicht mal was gönnen, ein neues Set Kochtöpfe zum Beispiel?
    »Rufen Sie jetzt an«, sagt die Moderatorin, und es ist der erste Satz, der in mein Ohr dringt. Dazu müsste ich aber zum Telefon greifen, und um das zu tun, müsste ich aufstehen. Ich bin viel zu müde, um aufzustehen. Ich würde auch gerne rauchen, doch die Zigaretten liegen auf dem Tisch. Ich bin zu müde, um zum Tisch zu gehen. Ich könnte Playstation spielen, anstatt mir eine blöde Verkaufsshow über Kochtöpfe anzusehen, doch dazu müsste ich die Konsole mit dem Fernsehgerät verbinden. Ich kann das nicht. Das Sofa und ich, wir verschmelzen miteinander, wir sind

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