Schockgefroren
verdiene ich mehr, als mein Papa nach Hause bringt. Ich weiß zwar nicht genau, was er nach Hause bringt, aber so viel kann es gar nicht sein.
Klar gibt es Rückschläge. Wir bauen den Unfall, und ich bin ein paar Monate weg vom Fenster. Ich schaffe meinen Hauptschulabschluss nicht, aber als Dealer laufe ich schnell wieder zu großer Form auf. Ich muss meinen Wirkungskreis ausdehnen. Von da an bin ich auch in Wiesbaden aktiv. Dort nimmt mich ein Algerier unter seine Fittiche.
»Du verlangst 600 Mark für 90 Gramm und nicht 600 Mark für 100 Gramm, klar?«, bläut er mir ein. Das ist eine Gleichung, die praktischer ist als Integralrechnen.
Ich bin den ganzen Tag auf der Straße. Seit Kurzem habe ich den Führerschein und besitze auch schon ein Auto. Ich gehe in Restaurants essen, und als ich aus einem rauskomme, steht ein Bekannter da und wispert mir zu, die Polizei sucht nach dem Algerier. Mich haben sie auch auf dem Kieker. Nimm mal deine Karre unter die Lupe, lacht er. Das tue ich und entdecke einen Sender. Spätestens jetzt sollte ich es mit der Angst zu tun bekommen, aber ich bin ein Weltmeister darin, mir keine Sorgen zu machen. Auch als der Algerier nicht mehr auftaucht und keiner weiß, ob er hopsging oder abgehauen ist, denke ich nicht ans Aufhören. Sondern nur daran, dass meine Kunden auf dem Trockenen sitzen und ich das Zeugs mittlerweile zum doppelten Einkaufspreis an den Mann bringe. Ich schwimme in Geld, aber ich muss auch was unternehmen. Amsterdam kommt mir in den Sinn, die Quelle schlechthin. Ich fahre nach Amsterdam und lerne, wie dort die Geschäfte laufen. Ich besuche Coffeeshops, treffe Leute, gewinne ihr Vertrauen. Irgendwann drücken sie mir eine Liste in die Hand: Roter Libanese, 2 Kilo, 7.000 DM steht drauf. Schwarzer Afghane, 2 Kilo, 8.000 DM steht drauf. Wir haben auch Pollum, weiß die Liste, dieses helle Gras, das so schön bröselt. Klingt gut. Ich habe 10.000 DM in der Tasche und sage dem Händler, deine Sachen sind zwar teurer als in Frankfurt, doch wenn die Qualität stimmt, bin ich bereit, es zu probieren. Im Coffeeshop wird nicht gedealt, deshalb meint er, ich soll mitkommen. Wer Drogen kaufen will, muss immer irgendwohin mitkommen, das ist die Regel. Wir verlassen den Coffeeshop, stellen das Auto unter einer Brücke ab, gehen zu Fuß weiter. Irgendwann stehen wir vor einem unscheinbaren Haus. Der Mann klingelt, die Tür geht auf, ich blicke direkt in eine Videokamera. Dann geht’s die Treppe hoch, und die Kameras sind überall. Sie sind auch in dem kleinen Raum mit den Sesseln, wo ich es mir bequem machen soll. Andere Kunden sitzen herum. Wir trinken Cola, quatschen, dabei wird mal der eine, mal der andere bedient. Als ich an die Reihe komme und bezahle, sagt der Händler: »Falls du häufiger auftauchst, wechsle das Auto.«
Ich tauche häufiger auf. Bald fahre ich zweimal die Woche nach Holland. Ich nehme immer dieselbe Route über Köln, Aachen, Maastricht, und ich wechsle nie das Auto. Meistens fahre ich alleine, aber einmal nehme ich Ulla mit. Sie ist meine Freundin, aber auch wieder nicht, das ist bei uns nicht richtig klar. Momentan ist sie meine Freundin, deshalb darf sie mit. Wir gehen über die Grenze, kaufen ein, sind schon wieder auf der Heimfahrt, als Ulla sagt: »Ich muss ganz dringend pinkeln.« »Jetzt nicht«, entgegne ich. »Wir sind noch zu nah an der Grenze.«
Dort gibt es die meisten Kontrollen. Doch Ulla gibt keine Ruhe. Also fahre ich bei Peppenhoven runter, damit sie mir das Auto nicht nass macht. Ulla springt raus, rennt in die Tankstelle, und ich denke mir, na gut, wenn wir schon hier sind … Den schwarzen Kastenwagen, der hinter mir parkt, beachte ich nicht, aber den Polizisten, der mir auf die Toilette folgt, schon. Panik steigt in mir auf. Ich habe ein Kilo Schwarzen Afghanen im Auto und ein Kilo Roten Libanesen, und auf einmal will ich nicht mehr pinkeln. Ich wasche mir nur noch rasch die Hände, dann schlendere ich so unauffällig wie möglich zum Auto zurück. Dort nehme ich beide Päckchen und werfe sie darunter. Der Polizist kommt aus der Tankstelle und äugt zu mir rüber, während er zum Kastenwagen schlendert. Er kommt nicht näher.
Uff. Alles nochmal gut gegangen. Der Kastenwagen schert aus und fährt langsam an mir vorbei. Dann bleibt er stehen. Zwei Polizisten springen heraus, einer davon ist mein Bekannter aus der Toilette. Er bückt sich unters Auto, der andere ist schon an der Fahrertür und zieht seine Waffe.
»Aussteigen«, sagt
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