Schockgefroren
so weit, denke ich, aber Adam G. öffnet nicht seine Hose. Er hat eine Flasche in der Hand und trinkt daraus. Seine Stimme schwankt.
»Ich geh da rein und bestell was«, sagt er. »Und als die blöde Kuh sich wegdreht, bin ich raus wie ein Furz aus dem Arsch. Die glauben wirklich, ich bleche für jeden Dreck. Einen Scheiß tu ich.«
Ich kauere auf dem Bett und schaue ängstlich zu ihm hoch. Da ist Schnaps in der Flasche, das rieche ich. Immer wenn Adam G. Schnaps trinkt, tut er mir noch ärger weh. Aber heute kann er aus irgendeinem Grund nicht aufhören, vor sich hin zu schelten. Eins ums andere Mal geht es darum, dass er was bestellt hat, aber nicht dafür bezahlt. Weil die ihn alle kreuzweise können, die glauben, er bleche für jeden Scheiß.
»Das kannst du für mich machen«, unterbricht er sein Schimpfen. »Junge Beine. Ich sag dir, was ich will, du gehst rein, holst es, und dann ab durch die Mitte.« Er lacht und nimmt einen Schluck. »Kriegst du das hin?«
Ich weiß nicht genau, was er meint. Soll ich mit ihm gehen und in einer Wirtschaft was bestellen? Oder will er mit mir in einen Laden, und ich muss etwas klauen? Ich habe noch nie was geklaut, und ich weiß nicht, ob ich das kann. Auf der anderen Seite: Ich käme hier raus. Vielleicht könnte ich von ihm abhauen? Vielleicht könnte ich jemand auf mich aufmerksam machen?
Adam G. hebt die Flasche an den Mund, doch sie ist leer. Er starrt sie mit Widerwillen an und pfeffert sie in eine Ecke. Da liegt so viel Müll, dass sie nicht kaputtgeht. Er schwankt, als er aufs Bett zusteuert.
»Nee, nee, nee«, sagt er. »Mein lieber Freund und Kupferstecher. Das machen wir anders. Sonst nimmst du das für bare Münze. Das ›ab durch die Mitte‹.«
Er hat Schwierigkeiten, sich aufs Bett zu hocken. Seine Finger nesteln am Hosenschlitz.
»Du hast auch längere Beine, Adi«, sage ich schnell. »Du kannst viel schneller laufen.«
Wieder lacht er. »Und wie ich das kann. Wie ein Furz aus dem Arsch, so schnell.«
Auf einmal kippt er zur Seite und kommt neben mir zu liegen. Ich wage mich nicht zu bewegen. Du stinkst, du stinkst, denke ich, aber ich werde mich hüten, einen Mucks von mir zu geben. Einen Scheiß tu ich.
Adam G. öffnet den Mund und beginnt zu schnarchen. Als ich sicher bin, dass er tief und fest schläft, rücke ich so weit wie möglich von ihm ab. Ich kauere mich im hintersten Winkel des Bettes zusammen und lasse ihn nicht aus den Augen. Wenn ich Glück habe, wacht er auf und kann sich nicht daran erinnern, was er tun wollte. Wenn ich Pech habe, wacht er vorher auf.
Ich bin peinlich berührt, als der Regisseur fragt, mit welcher meiner Exfreundinnen er reden könnte. Soll ich dir etwa eine Liste machen, denke ich, denn an diesem Morgen bin ich nicht gut gelaunt. Ich habe wieder schlecht geschlafen, stand um drei Uhr in der Nacht auf, um die Zeit bis zur Dämmerung auf Facebook totzuschlagen. Dann reiße ich mich zusammen. Jasmin kommt mir in den Sinn. Sie hat sicher einiges zu sagen, doch will ich davon in einem Film hören? Kirstin fällt mir ein, die den Morgenmuffel so schön um den Finger wickelte, als er noch daran glaubte, dass sein Narbengesicht ihm jede Aussicht auf eine Freundin vereiteln würde. Nein, ich will auch nicht, dass Kirstin von mir erzählt. Dann fällt mir Nicole ein. Sie war eine wichtige Bezugsperson für mich seit Kindheitstagen – so wird es später im Film heißen –, doch dass ich mit ihr meine erste ernsthafte Liebesbeziehung hatte, trifft nicht zu. Jedenfalls weiß Nicole viel von mir, da sie ein paar Häuser entfernt von meinem Elternhaus aufwuchs.
Der Regisseur bittet mich, sie anzurufen. Zum Glück hat sich ihre Nummer nicht geändert. Als ich mich melde, scheint sie gar nicht überrascht zu sein. Sie sagt, sie habe fast erwartet, dass ich mich melde, nachdem ich mich entschlossen habe, an die Öffentlichkeit zu gehen.
Manchmal bin ich etwas schwer von Begriff. Nicole lacht fröhlich und sagt: »Na, so schwer ist das doch nicht. Ich habe den Artikel gelesen. Und den Film gesehen.«
Jetzt lache ich auch. Obwohl wir uns seit zwei Jahren nicht gesehen haben, kommt es mir vor, als hätten wir uns erst gestern gesprochen. Nicole gehört zu den wenigen Menschen, mit denen ich sofort neu anknüpfen kann, als sei gar keine Zeit verstrichen. Vielleicht liegt es daran, dass sie sich als Pflegerin mit Menschen auskennt. Vielleicht liegt es auch daran, dass wir uns immer noch mögen. Jedenfalls plaudern wir vergnügt
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