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Schockgefroren

Schockgefroren

Titel: Schockgefroren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Buzmann
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weiterreibe, pappen sie zusammen. Das geht nie wieder weg, denke ich. Das wird von nun an immer an dir dran sein. Das hat dich, und es wird dich mit einer Schicht überziehen, die dicker und fester wird. Eines Tages wird sie dich einhüllen wie ein Taucheranzug. Sie wird so fest sein, dass du nicht mehr atmen kannst. Das passiert mir jetzt schon. Dass ich vergesse zu atmen. Dass ich die Luft anhalte. Ich habe es zum ersten Mal gemacht, als Adam G. seinen Pimmel in meinen Po steckte. Es tat so schrecklich weh, dass ich schrie und gleichzeitig die Luft anhielt. Dann vergaß ich, dass man weiteratmen muss. Irgendwann tat ich es automatisch, und das war, als würde ich den Schrei nach innen ziehen. Ich glaube, das habe ich auch getan: Ich habe einen Schrei in meinen Körper gezogen, und er ist immer noch drin. Er hat sich eingenistet, er wohnt dort, er kommt nicht raus. Der Schrei hat mich.
    Der Müll, ein Ball. Der Schrank, ein Schiff. Die Elektroplatte, ein Kamin. Das Bett, ein … Das Bett, ein … Das Bett beendet das Spiel. Das Bett beendet immer das Spiel. Ich schaffe es nicht, für das Bett ein anderes Wort zu finden. Ein nettes Wort. Ich hasse das Bett. Ich hasse alles, was darauf passiert, und das hindert mich daran, ein nettes Wort zu finden. Immer wenn ich alles im Wohnwagen neu benannt habe, endet das Spiel hier. Das Bett ist das Bett. Da kann ich nichts machen.
    Adam G. bewegt sich auf seinem Stuhl. Ich dachte schon, er sei dort angewachsen. Ich dachte schon, er hat vergessen zu atmen. Aber er ist nicht angewachsen. Er atmet weiter. Er nimmt die Flasche vom Tisch und trinkt. Er trinkt mehr als früher. Jetzt steht er auf und kommt zu mir. Immer wenn er sich nähert, weitet sich der verschluckte Schrei in mir aus. Wird so groß, dass ich wieder den Atem anhalte. Was wird er jetzt tun, der Adi? Will er nach mir greifen? Oder macht er den Fernseher an? Jetzt ist es wichtig, dass mein Gesicht lacht. Jetzt ist es wichtig, nett und höflich zu sein.
    »Sicher kommt was Tolles im Fernsehen«, sage ich rasch. »Vielleicht eine Ratesendung.«
    Adi mag Ratesendungen. Er rät mit, auch wenn er meistens falschliegt. Er will, dass ich auch mitrate, also tue ich das. Wir raten gemeinsam, wenn er es will.
    Er stiert mich an, Augen wie Schlitze, rot unterlaufen. In seinem Bart klebt was. Ein Geruch wie Essig. Nein, nicht wie Essig. Wie Kotze.
    »Hmhm«, knurrt er. Wenn Adi viel trinkt, kann er nicht mehr so gut reden. Ich gebe mir noch mehr Mühe, dass mein Gesicht lacht und ich fröhlich klinge. Es fällt mir schwer, weil ich gleichzeitig daran denke, dass mir für das Bett kein anderer Name einfällt. Ums Verrecken fällt mir kein anderer Name ein. Ums Verrecken ist ein Ausdruck, den Adi oft benutzt. Ums Verrecken ist auch ein Ausdruck, der stärker ist als mein Lachen. Ums Verrecken und Lachen sind keine Freunde. Aber ich bin ja erwachsen. Deshalb weiß ich, dass ich stärker sein muss als ums Verrecken. Ich muss lachen. Ich hopse auf dem Bett herum wie ein Gummiball. Das bringt Adi manchmal zum Lachen. Und falls er jetzt nicht lacht, erreiche ich dadurch wenigstens den Fernsehapparat. Dann kann ich den Knopf drücken, und der Apparat geht an.
    Wenn der Apparat angeht, vergisst der Adi vielleicht, was er vorhatte.
    Hopsassa, und drück!
    Auf dem Bildschirm erscheint eine Frau und verliest Nachrichten. Adi stellt sofort ein anderes Programm ein. Keine Nachrichten! Dich sucht keiner. Deine Eltern haben dich vergessen. Du bleibst für immer hier. Ich lache. Ich bin nett. Und fröhlich. Im andern Programm schießt ein Mann mit einer Pistole. Dann kommt ein Fußballspiel. Dann eine Ratesendung.
    Adi setzt sich neben mich aufs Bett. Ich hocke im Schneidersitz, er wie auf dem Stuhl, die Beine auf dem Boden, den Oberkörper verdreht. Mein Lachen ist so breit, dass meine Backen schon wehtun. Au ja, raten, Adi! Wir raten zusammen! Adi steht auf und macht den Ton lauter. Langsam beruhige ich mich. Langsam zieht sich der verschluckte Schrei zusammen. Ich glaube, wir werden heute nur Fernsehen gucken. Vielleicht gibt es sogar was zu essen. Vielleicht macht Adi eine Dose auf. Vielleicht findet er noch eine Flasche und trinkt was. Vielleicht schläft er dann ein. Vielleicht kann ich dann auch ein wenig schlafen, bis die Vögel erwachen. Vielleicht, vielleicht.
    Adam G. steht auf, und sofort regt sich der verschluckte Schrei in mir. Nein, Entwarnung. Er macht bloß den Ton des Fernsehers lauter. Bei Ratesendungen will er alles gut

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