Schockstarre
Herr und sah wieder in die Ferne.
»Dieses Ghostwriting-Projekt …«, fing Katinka nach einer Weile an. »Was wissen Sie darüber?«
»Welches meinen Sie? Mein Mann war permanent mit zusätzlichen Arbeitsaufträgen zugange.«
»Afghanistan. Der … General.«
Maria Mendel zog die Augenbrauen zusammen.
»Davon weiß ich nichts. Frank hat schon seit Jahren nicht mehr als nötig mit mir über seine Arbeit gesprochen.«
»Hat er denn einen PC zu Hause stehen? Wo schrieb er? Nur in der Agentur?«
»Wir haben zwei Rechner, Frank hatte einen für sich, und dann haben wir einen zweiten, damit die Kinder ins Internet können. Die Großen schicken ihre Hausaufgaben schon per E-Mail an ihre Lehrer.«
Katinka fror so sehr, dass es sie schüttelte.
»Ich würde gerne die Daten Ihres Mannes mal ansehen«, bat sie atemlos.
Auch Maria Mendel schien jetzt zu frieren. Sie wickelte sich ihren Schal fester um den Hals, zog ihn übers Kinn.
»Keine Chance. Die Polizei hat alle Festplatten mitgenommen. Angeblich kriegen wir sie schnell zurück.«
»Ihr Mann hatte mal mit Drogen zu tun, oder?«
Maria Mendel zauberte zum ersten Mal in diesem Gespräch echte Überraschung hervor.
»Drogen? Nein. Mit Drogen hatte Frank definitiv nichts zu tun. Drogen verachtete er. Er verachtete alle Menschen, die sich nicht zusammenrissen, um mit Fleiß und Hingabe ihre Pflichten zu erfüllen. Junkies gehören nicht zu den Leuten, die es seiner Meinung nach, geben muss.«
»Wo waren Sie gestern Nacht?«
»Zu Hause. Wir wohnen gleich hier ein Stück den Berg hinunter!« Maria Mendel wies mit einer fahrigen Geste in die schwarze Nacht und schob schnell die Hand wieder in die Manteltasche.
»Wann kam Ihr Mann gestern nach Hause?«
»Ich weiß es nicht. Er hat sich in der Mansarde eine eigene Wohnung eingerichtet. Über eine Außentreppe erreichbar. Auf diese Weise brauchte er sich nicht mit meinem Anblick zu belasten. Und mit dem Theater der Kinder auch nicht.«
»Aber Sie müssen doch mitbekommen haben, wann er üblicherweise heimkam!«
»Nein«, sagte Maria Mendel. »Und jetzt entschuldigen Sie mich. Ich muss nach Hause. Meine Mutter ablösen und nach den Kindern sehen. Sie haben einen grauenvollen Tag hinter sich.«
Sie reichte Katinka die Hand, warm verpackt in einem Fingerhandschuh aus Kaschmirwolle, drehte sich um und ging davon.
Montag, 10. 1. 2005, 20:33 Uhr
Perplex blickte Katinka ihr nach. Gelähmt, wie festgefroren stand sie auf dem Parkplatz, sah zu, wie ihre Gedanken flüchteten, außer ein paar Abdrücken in ihrem Kopf blieb da nichts, nur Dunkelheit und Verwirrung.
Mir friert das Gehirn ein, dachte Katinka. Und durch diesen Wald laufe ich auch nicht mehr zurück. Da muss schon eine Armee Bodyguards mitkommen.
Schlotternd hastete sie über den Parkplatz zur Straße. Gegenüber hatte sie ein Hotel entdeckt. Steil führte die Auffahrt zum Eingang hinauf. Der erneute Kälteeinbruch überzog die nassen Straßen mit einer Eisschicht. Unschuldig lag der Schnee darauf wie eine gute Tat auf einem ansonsten rabenschwarzen Gewissen. Katinka kämpfte sich zwei Schritte hinauf, um ungefähr genauso weit zurückzurutschen. Schließlich wich sie seitlich aus, unter dem Schnee spürte sie Gras. Hotel Festungshof , las sie.
In der Lobby saß ein mürrisch dreinschauender Mensch. Kaum dass er Katinka erspähte, setzte er ein professionell freundliches Gesicht auf. Er war jung, augenscheinlich ein frischgebackener Hotelfachmann.
»Ich hätte gerne einen Cappuccino«, sagte Katinka.
Er wies ihr den Weg zum Café und kam kurz darauf selbst hinterher.
»Kalt heute«, sagte er.
Katinka lauschte dem vertrauten Geräusch, als er den Kaffeesatz aus dem Sieb klopfte. Ihr Gesicht, ihre Hände und Füße fühlten sich eiskalt an.
»Kann man so sagen«, sagte sie. »Haben Sie zur Zeit viele Gäste?«
Die Frage hätte sie sich sparen können. Das Café lag verwaist und alles andere als gemütlich vor ihr. Draußen erspähte sie eine Terrasse, schüchtern illuminiert von zwei Laternen. Der Ausblick mochte an klaren Tagen herrlich sein.
»Über Weihnachten und Neujahr wussten wir nicht mehr, wo uns der Kopf stand«, sagte er und betätigte einen Schalter. »Aber jetzt ist alles ruhig.« Heiße Flüssigkeit schoss in die Tasse. Das Fauchen wärmte Ka-tinka ein wenig.
»Brauchen Sie ein Zimmer?«, fragte er. »Wir haben noch Kapazitäten frei.« Er grinste.
»Ich habe vor, heute Abend noch heimzufahren«, sagte Katinka. Er schob ihr
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