Schockstarre
die Tasse hin. An seinem Revers steckte ein Schildchen. Mirko Büchner . Sie nahm ein Zuckertütchen und ließ das weiße Pulver auf den Milchschaum rieseln.
»Da werden Sie nicht viel Glück haben«, sagte Büchner. »Im Radio haben sie gerade durchgegeben, nur wer unbedingt fahren muss, sollte sich auf die Straße begeben. Es ist höllisch glatt. Erst der Schnee, dann taut alles, und jetzt friert es wieder.«
»Verflixt«, dachte Katinka laut. »Ich dachte, ich könnte per Taxi in die Innenstadt fahren. Dort parkt mein Auto.«
»Ersparen Sie sich das. Hier oben ist es immer noch ein paar Grade kälter als unten in der Stadt. Heute Nacht fährt hier keiner mehr freiwillig rauf.«
Mirko Büchner machte eine entschuldigende Grimasse, als habe er das Wetter fälschlicherweise bestellt und vergessen, zu reklamieren. Katinka dachte an die Sommerreifen ihres Beetles.
»Das Haus stammt auch von den Herzögen, oder?«, fragte sie, um sich von den Verkehrsproblemen abzulenken. Das leere Hotel wirkte traurig auf sie, fast ein wenig zermürbt.
»Knapp 100 Jahre ist es alt.« Büchner wienerte die Ablage. »Vorher hat es zwar hier oben auch schon eine Klause gegeben, aber dieses Hotel ließ Herzog Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha 1909 bauen. Ende der 70er, Anfang der 80er stand es zehn Jahre leer. Inzwischen läuft der Laden.«
»Schöne Lage, so auf dem Berg. Haben Sie von dem Mord gehört?«
Büchner wurde blass.
»Ich kann Ihnen sagen, ich bin beinahe aus den Socken gekippt.« Sein gestelzter Hoteljargon verflog. »Die ganze Woche habe ich schon Nachtdienst. Gestern fegte ein wahnsinniger Wind über den Berg, die Leinen an den Fahnenmasten draußen knallten und schepperten. Irgendwann fiel die Beleuchtung über dem Eingang aus. Es war richtig unheimlich.«
»Kann ich verstehen.«
»Die Kollegen reden über nichts anderes. Gerade mal zehn Minuten von hier wird einer brutal erschossen.«
Katinka rührte in ihrer Tasse. Sie fragte sich, ob sie die Rückfahrt nach Bamberg wagen sollte. Sie war müde und sehnte sich nach ihrer Wohnung, einer warmen, hellen Küche, in der Tom ein Essen zauberte, nach ihrem Bett und einer Wärmflasche. Einer lebendigen, männlichen Wärmflasche.
Dann gab es da noch die Agentur Fenering mit all den Kollegen, denen Frank Mendel geschadet haben sollte. Sie könnte hier übernachten, sich gleich morgen in der Agentur umsehen und anschließend heimfahren.
»Ich glaube, ich nehme doch ein Zimmer«, sagte Ka-tinka, zückte ihr Handy und rief Tom an.
9. Agentur Fenering
Mirko Büchner zeigte ihr den Weg zu ihrem Zimmer.
»Sie haben ja leichtes Gepäck«, sagte er und wies mit dem Kinn auf ihren Rucksack. Katinka nickte nur. Wenn du wüsstest, welche kleinen Wunder sich darin befinden, dachte sie, zum Beispiel ein Dietrich. Wo sie den herhatte, brauchte keiner wissen, auch Tom nicht. Schon gar nicht Hardo. Die vielen nützlichen Zaubereien einer Detektivin, Katinka grinste in sich hinein.
Im Hotelrestaurant verspeiste sie voller Appetit Rindfleisch mit Meerrettichsoße und echten Coburger Klößen. Die dampfenden gelben Kugeln zerliefen auf dem Teller zu flachen Hügeln. Mirko Büchner versicherte ihr, dass dies eine wesentliche Eigenschaft der Coburger Klöße darstellte.
Später lag Katinka lange wach, eingekuschelt in ein überbreites Bett, ein Bier aus der Minibar neben sich auf dem Nachtkästchen. Sie las in einem Coburg-Bildband, bis ihr die Augen zufielen und all die Fakten über die Bau- und Kunstwerke dieser Stadt, die Heiratspolitik des Herzogshauses und den Aufenthalt Martin Luthers auf der Veste zu einem Chaos verwirbelten. Sie stand auf, zog die Vorhänge zurück und betrachtete den unaufhörlich vom Himmel rieselnden Schnee. Spät schlief sie ein. Einmal wurde sie von einem vorbeifahrenden Schneepflug geweckt. Das gelbe Warnlicht flimmerte über die Wände ihres Zimmers. Später riss sie ein Schuss aus dem Schlaf. Sie musste ihn geträumt haben, stand aber lange am Fenster, blickte in die Dunkelheit hinaus und fragte sich, wer der Kerl im Rio-Club gewesen war, der angebliche Henryk Pawlowicz, der vermeintliche Ehebrecher und Besitzer von K.o.-Tropfen.
Dienstag, 11. 1. 2005, 9:20 Uhr
Fröstelnd stapfte Katinka durch den grauen, mürrischen Morgen auf die Agentur Fenering zu. Sie war spät dran. In der winterlichen Einsamkeit auf dem Berg war ihr der Schlaf tiefer als erwartet in die Glieder gekrochen.
Es hatte zu schneien aufgehört. Die Temperaturen
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