Schockstarre
stiegen. Von den Bäumen platschten dicke Tropfen, die weiße Pracht löste sich in Nichts auf. Katinka stiefelte über die Treppe zur Eingangstür und drückte sie auf. Das Schloss schnappte. Ein Tresen empfing sie, hinter ihm eine Dame von etwa 60 Jahren, Hochfrisur, schwarzer Hosenanzug.
»Guten Morgen. Darf ich Ihnen helfen?«
Donnerwetter, dachte Katinka. Höflichkeit ist nichts dagegen. Auf dem Tresen stand ein Schild mit der Aufschrift Hier ist Isolde Löbers für Sie da .
»Ich suche Herrn Hartmann«, versuchte sie es.
»Gerne. Einen Moment. Wen darf ich anmelden?«
»Katinka Palfy.« Er war also nicht krankgeschrieben.
Die Sekretärin griff nach dem Telefon, wählte und sagte:
»Herr Hartmann, Löbers hier. Besuch für Sie. Frau Katinka Palfy.« Sie schwieg kurz und sah Katinka nachdenklich an.
»Haben Sie einen Termin?«, fragte sie, die Sprechmuschel mit der Hand überdeckend.
»Nein. Ich komme immer ohne Termin.«
»Selbstverständlich.« Isolde Löbers legte auf. »Er holt Sie sofort ab. Möchten Sie solange Platz nehmen?«
Katinka drehte sich nach den Besucherstühlen um, kam aber nicht dazu, sich zu setzen. Udo Hartmann trampelte in die Szene wie ein Brauereipferd.
»Guten Morgen. Sie wollen zu mir?«
Katinka nahm aus den Augenwinkeln Frau Löbers’ kritische Miene wahr.
»Palfy.« Sie streckte ihm die Hand hin. Er reichte ihr seine, langsam, zeitversetzt, als müsse er sich noch entscheiden. Mit der anderen fuhr er über seine ordentlich rasierten Wangen. Ein dicker Bauch schwappte in Wellen über seinen Hosenbund. Udo Hartmanns Übergewicht erinnerte Katinka an die Coburger Klöße. Ohne Begrenzung floss das Fett in alle Richtungen, nur zusammengehalten von seiner Kleidung. Schweiß stand auf seiner Stirn. Die wenigen grauen Haarsträhnen hatte er über seinen Schädel gepappt. Trotz des Winterwetters trug er nur ein Polohemd über der Cordhose. Die Hosenbeine steckten im Stiefelschaft.
»Hier entlang«, sagte er und fügte unter dem glühenden Blick der Empfangsdame ein knurriges »bitte« an.
Katinka folgte ihm durch eine breite Diele, einen Korridor und zwei Durchgangszimmer, die man durch jeweils drei verschiedene Türen betreten konnte. Alte Tricks von Altbauten, dachte Katinka. Die reinsten Labyrinthe, keiner findet mehr dahin zurück, wo er herkam. Ihre Schritte ließen die Dielenböden knarren. Überall hing noch Weihnachtsdekoration, große Adventskränze baumelten von den Decken, ein mächtiger Christbaum neben einem Kamin leuchtete warm. Der Inhaber hatte sich einem so spartanischen wie teuren Einrichtungsstil verschrieben, Möbel, Teppiche, Geräte und Kunstwerke zeugten von fetten Umsätzen.
Hartmann ging schwerfällig vor ihr her, leicht vornüber gebeugt, als habe er Schmerzen. Sein Büro war überfüllt mit Handakten und aus Einzelblättern bestehenden Stapeln. Zwei Rechner füllten den Platz auf dem Schreibtisch gänzlich aus. Drei Wände waren mit Regalen vollgestellt, zerlesene Bücher quollen hervor. Die vierte Wand bestand aus einer einzigen Magnettafel, an die Grafiken und Zeichnungen geheftet waren. Hartmanns Zimmer war kunstwerkfreie Zone. Ungeduldig warf er seinen schweren Körper auf einen Schreibtischstuhl, die Lehne federte vor und zurück.
»Also, was wollen Sie.«
»Sind Sie nicht krankgeschrieben?«
»Meine Frau wollte das. Ich kann’s mir nicht leisten«, brummte er ablehnend und wurde durch ein Piepen eines der Rechner gefangen genommen. Er fuhrwerkte mit der Maus herum und gab Katinka Zeit, sich die Ziele ihres Besuches ins Gedächtnis zu rufen.
»Wie geht es denn jetzt mit dem Projekt weiter, das Sie und Mendel gemeinsam vorangetrieben haben.«
Hartmann starrte grimmig auf den Bildschirm und klickte mit dem Zeigefinger auf die Maus, als wolle er sie zerstückeln.
»Woher soll ich das wissen? Fragen Sie den Chef.«
»Vermissen Sie Frank Mendel nicht?«
»Vermissen oder nicht hat mit der Arbeit nichts zu tun.«
»Stimmt es, dass Gruschka zurückkommt?«, fantasierte Katinka.
Hartmann runzelte die Stirn, klickte noch ein bisschen, dann drehte er sich auf seinem Stuhl zu Katinka und sagte:
»Und warum wollen Sie das wissen?«
»Ich … wüsste jemanden für den Auftrag. Nur für den Fall, dass Sie schnellen Ersatz brauchen.«
»Einen Texter?«
»Ja.«
»Sind Sie Headhunterin?«
»Genau.« Katinka fuhr sich durch das kurze Haar.
»Wenn Sie ein Angebot haben, sollten Sie sich an den Chef wenden. Entschuldigen Sie, ich habe zu
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