Schockstarre
Fenster herunter. Die kalte Luft brachte sie zur Besinnung.
Sie ließ sich ihren Zimmerschlüssel geben. Mirko Büchner war nicht da. Katinka packte ihre Habseligkeiten in die Kaufhaustüten und checkte aus.
»Tut mir leid, aber mir ist was dazwischengekommen«, hörte sie sich sagen, wobei ihr durch den Kopf ging, dass sie sich für ihre Abreise nicht zu rechtfertigen brauchte. Ich könnte Mirko Büchners Kollegin auch sagen, statt im Hotel penne ich heute Nacht im Knast, dachte sie, als sie mit ihrer Kreditkarte bezahlte, ihre Tüten aufnahm und zum Auto ging.
Schilling wusste, dass sie im Festungshof gewohnt hatte. Die Überwachungsgesellschaft funktionierte perfekt. Jedenfalls konnte er jetzt ihr Konto überprüfen lassen und feststellen, dass sie bezahlt hatte und abgereist war. Wohin auch immer.
Katinka fuhr den Berg zu dem kleinen Flugplatz hinauf. Sie hörte Streusalz gegen die Karosserie spritzen. Auf der Höhe hielt sich der rotweiße Windsack exakt waagerecht in der Luft. Sie verzichtete darauf, auszusteigen, stellte den Motor ab und wählte eine Nummer. Sie musste warten, sich dann durchstellen lassen und wieder warten, bis sie endlich die Stimme hörte, auf die sie gehofft hatte.
»Sabine Kerschensteiner?«
»Sabine! Wunderbar, du hast Dienst. Hier ist Ka-tinka.«
Sie sah die Polizistin vor sich, wie sie ihren Pferdeschwanz richtete und sorgsam die grüne Krawatte zurechtrückte.
»Wo steckst Du eigentlich, Katinka?«
»Ich bin noch in Coburg. Eigentlich wollte ich nur mal mit jemandem reden.«
»Was ist los. Geht’s dir nicht gut?«
»Nein. Euer Coburger Kollege hängt mir allerlei miese Sachen an. Verstoß gegen das Waffengesetz. Strafvereitelung.«
»Was? Kann er … hat er …«
»Er hat nichts in der Hand, nein. Außer großer Töne, die er aber auch irgendwann restlos ausgespuckt hat, bleibt da nicht viel. Bloß Beihilfe zum Mord!«
Sabine holte tief Luft.
»Beihilfe zum Mord?«
»Dieser Mendel ist mit meiner Waffe erschossen worden.«
»Aber Katinka«, beruhigte Sabine. »Er blufft. Beihilfe würde voraussetzen, dass Du Mister X die Waffe freiwillig gegeben hast und wusstest, dass jemand damit ermordet werden sollte.«
»Wozu stiehlt man sonst eine Waffe, wenn nicht, um jemanden zu ermorden!«
»Du sagst es! Die Waffe wurde gestohlen, du hast sie niemandem verliehen.«
»Das kann ich aber nicht beweisen.«
»Aber der Kollege kann dir das Gegenteil nicht beweisen!«
»Wie geht’s eurem Chef?«, fragte Katinka halbwegs beruhigt.
»Uttenreuther? Er ist in letzter Zeit reichlich missmutig. Ein paar Kollegen haben schon gejuxt, er sei wohl in den Wechseljahren für Männer. Stimmungsschwankungen und so weiter.«
Katinka lachte.
»Grüß ihn von mir.«
»Katinka?«
»Ja?«
»Du machst doch … »
»Keine Dummheiten, nein. Nur so, wie dieser Wolf Schilling sich das vorstellt, kann es ja nun auch nicht gehen.«
»Das war eine ziemlich billige Drohung«, sagte Sabine. »Vielleicht kannst du ihn sogar drankriegen, weil er dich psychologisch unter Druck gesetzt hat … falsche Verdächtigung im Amt und sowas. Wir sind erst neulich darüber belehrt worden.«
Sie beendeten das Gespräch, Katinka legte das Handy weg und fragte sich, ob Schilling ihr jemanden an die Fersen geklebt hatte. Hier oben sah sie niemanden, kein Auto, nichts. Sie hätte gerne Hardo angerufen, ließ es aber bleiben. Ein Anschiss durch einen Polizeihauptkommissar am Tag reichte ihr fürs Erste. Katinka stieg aus. Schneeflocken umwirbelten sie, setzten sich auf ihre Schultern und ihr Haar.
Mendel wird erschossen, mit meiner Waffe. Soweit klar. In der Agentur Fenering geht’s rund wie im Puff. Soweit auch klar. Das bringt eine Menge böses Blut und Eifersüchteleien mit sich. Katinka richtete ihr Gesicht genau in den Wind. Der Schnee biss in ihre Haut. Außerdem war da Hartmann, der um sein Vermögen betrogene Bärbeiß, ein Erpressertyp obendrein. Warum er Mendels Datenspeicher haben wollte, ging Katinka nicht in den Kopf. Was hatte Hartmann mit Benno Lehmanns Afghanistangeschichte zu tun. Womöglich erwartete Hartmann, auf dem Speicherstick erpressungstaugliches Material zu finden. Aber Mendel war tot und nicht mehr erpressbar. Katinka schüttelte den Schnee aus dem Haar und stieg wieder ins Auto. Sie suchte ihr Notizbuch heraus und kritzelte Stichpunkte aufs Papier. Sie gab zu, Hartmann gern als Hauptverdächtigen in die erste Zeile zu setzen. Er besaß die nötige Kaltschnäuzigkeit, um jemanden
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