Schockstarre
wütend zurück. Allmählich fand sie Schilling reichlich albern, seine Anschuldigungen ebenso wie seine Fliege, sein im Deckenlicht violett changierendes Sakko und seine Lesebrille. »Und ich weiß so gut wie Sie, dass Alibis zu Nachtzeiten immer ein gewisses Problem darstellen, es sei denn, der Verdächtige feiert gerade in der Tatnacht eine rauschende Party mit zwanzig Gästen.«
»Gruschka. Sie waren bei Gruschka.«
»Ich habe nicht mit ihm gesprochen«, sagte Katinka wahrheitsgemäß. »Aber ich weiß, dass Fenering in der Tatnacht in Frankfurt eine Hotelbar leergetrunken hat.«
Schilling widersprach nicht.
»Aber was ist mit Hartmann, hat der ein Alibi?«, fragte Katinka. »Und seine Frau? Ich nehme stark an, die beiden decken sich gegenseitig.«
» Ja. Wobei …« Schilling biss sich auf die Lippen. Katinka verkniff sich ihr Grinsen mit Blick auf die Schwierigkeiten, die vor ihr lagen.
»Meine Waffe hätte ich gerne wieder«, begann sie.
Schilling ließ eine Schimpftirade vom Stapel. Katinka wartete seinen Temperamentsausbruch ab, ehe sie fragte:
»Was haben Sie eigentlich für ein Problem mit mir?«
Hinter Schillings Rücken blinkten die Lichter des Kaffeeautomaten.
»Sie haben Ihre Beretta einem Mann geborgt, dessen Identität Sie uns nicht preisgeben wollen«, sagte Hauptkommissar Schilling. »Sie täuschen vor, mit K.o.-Tropfen willenlos gemacht worden zu sein.«
»Das GHB ist nachgewiesen worden. Schauen Sie in die Akten!«, erwiderte Katinka um einiges lauter. Sie dankte Hardo und Dr. Koninger im Nachhinein, dass sie auf einer Blutuntersuchung bestanden hatten. »Wirklich, Herr Hauptkommissar, wir können hier sitzen und uns anschreien wie Monsterkrähen. Das macht’s auch nicht besser. Ich habe meine Waffe niemandem geborgt. Ich bin kein Pistolenverleih, sowas ist völlig daneben, das würde ich nie tun.«
Schilling lehnte sich zurück. Seine manikürten Hände drehten Tasse gegen Untertasse, bis die bunten Muster wieder zueinander passten.
»Ich kann Sie drankriegen, wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz, Strafvereitelung und – last but not least – Beihilfe zum Mord.«
»Wie bitte?« Die grün und rot blinkenden Kontrollleuchten an der Kaffeemaschine blendeten Katinka mit einem Mal. Sie kniff die Lider zusammen. Bunte Lichter tänzelten vor ihren Augen. »Das kriegen Sie nie eingetütet.«
»Es war Ihre Waffe, Frau Palfy, und Sie haben keinerlei vernünftige Erklärung dafür, wie Ihre Pistole in diesen Fall hineingerutscht ist.«
»Was Sie mir damit sagen wollen«, entgegnete Ka-tinka zuckersüß, »ist doch, dass es in Ihren Verantwortungsbereich fällt, eine solche Erklärung aufzuspüren, oder?«
Schilling trug seine Tasse mit bebenden Händen zum Waschbecken neben der Tür.
»So, Frau Palfy. Ich nehme Sie entweder sofort fest, dann haben Sie 48 Stunden Extraurlaub, in einem weniger komfortablen Quartier als im Festungshof , und anschließend entscheidet der Haftrichter. Oder aber, Sie machen sich auf die Socken, fahren hübsch brav nach Hause und lassen uns unsere Arbeit machen.«
Das können Sie nicht machen, wollte Katinka sagen, aber es klang ihr zu sehr nach Kino. Das zweite, was sie loswerden wollte, war, Sie miese Ratte. Sie profitieren doch nur von Ihrer Position der Stärke in der administrativen Hierarchie. Das Kaffeecockpit des Hauptkommissars hörte nicht auf zu blinken. Da war dieser plötzliche Impuls, auf die Hochtechnologie einzuschlagen, die Elektronik mit ein paar Hieben außer Gefecht zu setzen und Schilling die Chromnickelstahlverkleidung zwischen die Zähne zu schieben.
»Schönen Tag dann!«, sagte Katinka nur, stand auf, schnappte sich ihren Rucksack und ging zur Tür.
»Ach, Frau Palfy?«
Unwirsch drehte sich Katinka um. »Was ist!«
»Ihre Waffe dürfen Sie abholen, sobald sich die Vorwürfe gegen Sie geklärt haben.«
Mittwoch, 12. 1. 2005, 11:59 Uhr
Das hohe Walmdach des Festungshofes hatte sich eine dicke Schneemütze übergestülpt. Sogar das runde Erkertürmchen an der Ecke träumte unter einer weißen Haube. Der Schnee fiel nun fein, die Temperaturen fielen. Katinka blieb einen Moment im Auto sitzen, um die Nachrichten zu hören. Der Tsunami in Ostasien nahm immer noch die erste Stelle ein. Katinka konnte sich nicht konzentrieren. Die Gedanken rasten durch ihren Kopf wie von einem Schneebesen verrührt, schwappten gegen die Innenwände ihres Schädels, sie hielt sich die Ohren zu, drehte das Radio aus und kurbelte das
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