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Schockstarre

Schockstarre

Titel: Schockstarre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Schmöe
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und ging langsam weiter, die Fingerspitze strich über den rauen Stein. Luther hatte die Veste Coburg einige Male besucht und sich schließlich für ein halbes Jahr hier oben verborgen gehalten. Ein sichereres Versteck konnte es nicht geben. So eines bräuchte sie auch. Einen Ort, an dem sie ihrer Arbeit nachgehen konnte, ohne von Schilling und Co. behelligt zu werden. Allerdings übersetzte Katinka Palfy nicht die Bibel, ihr Job verlangte Ortswechsel. Sie dachte kurz an Benno Lehmann und seine Phantome. Die Kälte fraß ihre Füße ab.
    Sie kam im ersten Burghof an. Überwältigt drehte sie sich ein paarmal im Kreis. Die Fassaden des Fürstenbaus, der Lutherkapelle, des Bulgarenturms und der Steinernen Kemenate fuhren vor ihren Augen Karussell. Sie hatte Lust, zur Hohen Bastei hinaufzusteigen, um die Stadt tief unter sich liegen zu sehen, ließ es aber bleiben. Schließlich wollte sie zu ihrem Date mit Irmela Fenering nicht zu spät kommen. Auf eine völlig irrationale Weise fühlte sie sich zwischen diesen Mauern beschützt und aufgehoben. Der berühmte Schoß Abrahams, dachte sie lächelnd, während sie durch das Tor neben der Steinernen Kemenate in den zweiten Burghof schritt. Durch die Eingangstür zu den Kunstsammlungen schimmerte warmes Licht in die Dämmerung hinaus. Der Himmel riss auf, eiskalt glänzende Sterne blinkten und zwinkerten. Katinka schlug den Mantelkragen hoch. Sie sah auf die Uhr, schon 12 Minuten nach 3. Ein großes Kanonenrohr präsentierte sich neben dem Museumseingang, Chinesisches Geschützrohr vermeldete die Aufschrift und nannte als Jahreszahl 1689. Rechts daneben sah Katinka ein Gitter hinter Efeu versteckt. Bären, dachte sie. Eine Burg hielt sich in früheren Zeiten einen Bären, und der arme Kerl verbrachte sein sinnloses Leben im Karzer.
    Sie ging am Museumseingang vorbei. Jenseits der warmen Lichter lag der Herzoginbau. Katinka tastete sich die wenigen Stufen hinunter. Hier kam kein Lichtstrahl an.
    Ihr Enthusiasmus verpuffte. Sie mochte diese Ecke nicht, alles wirkte undurchsichtig, opak, finster. In der Düsternis zwischen den alten Mauern vermisste Katinka ihre Pistole. Sie beobachtete eine Gruppe Besucher, die aus dem Museum kamen und mit klackernden Absätzen über das Kopfsteinpflaster hasteten. Das Geräusch verklang, tiefe Stille senkte sich auf den Burghof. Die Kälte biss nicht nur die Zehen ab, sie fraß auch alle Klänge. Den Schal viele Male um den Hals gewickelt, kam Katinka sich steif und unbeweglich vor. Sie ließ die Schultern kreisen, hüpfte auf und ab. Ein Blick auf die Armbanduhr, sie musste ihren Arm verdrehen, um in dem spärlichen Licht sehen zu können. Es ging auf halb vier zu. Keine Irmela Fenering in Sicht.
    Katinka lehnte sich an die Außenmauer des Herzoginbaus. Die Kälte drängte sich durch Mantel und Pullover. Katinka spürte ein Ziehen im Kreuz. Ischiasnerven mochten keine Winter. Sie stieß sich ab und flitzte ein paarmal die Treppen zum Burghof hinauf und hinunter. Sechs Stufen, Plattform, nochmal sechs Stufen. Andere Richtung. Der Burgbär fiel ihr ein, der hatte weniger Auslauf gehabt.
    Die Stimme tönte silbrig, wie eine Regieanweisung aus dem Off:
    »Fideliter et constanter.«
    Katinka kam ins Straucheln, ruderte mit den Armen und rutschte zwei Stufen tiefer, bis sie sich fing.
    »Verzeihung!« Ein amüsiertes Lachen folgte, glockenhell, einmal die Tonleiter hinauf und wieder hinunter. »Irmela Fenering. Tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt habe.«
    Katinka missachtete die ausgestreckte Hand:
    »Und ich will keinen Lateinunterricht bei Ihnen nehmen.«
    Wieder das Lachen.
    »Sie haben sich kundig gemacht.«
    Also ist sie tatsächlich Lateinlehrerin, dachte Ka-tinka, das war ein Zufallstreffer, sowas wie Anfängerglück.
    »Fideliter et constanter«, dozierte Irmela Fenering, »das war der Wahlspruch des Herzogtums Sachsen-Coburg. Sie sind Historikerin, und deswegen sage ich das.«
    »Woher habe ich nur den Eindruck, dass Sie mich kennen?«
    Irmela Fenering lachte. Sie hatte Ausstrahlung, kein Zweifel. In Jeans, klobigen Stiefeln, einem ausgebeulten Parka und mit einem Wachshut auf dem Kopf gelang ihr, was den meisten Frauen selbst im Ballkleid verwehrt blieb: Groß, breitschultrig, das Gesicht auf eine anziehende Weise unregelmäßig, strahlte sie Eleganz aus.
    »Sie waren in der Agentur. Sie haben Maria Mendel getroffen. Sie spazieren seit kurzem durch diese wunderhübsche kleine Stadt. Und meinen, man dürfe Sie nicht kennen. Nichts da,

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