Schockwelle
Fluch des weißen Mannes.
Indianer bringen einander wegen Diamanten nicht um.«
»Du bist spät dran, stimmt’s? Deine Stammesbrüder sind schon vor zwanzig Minuten durchgekommen.«
»Ich bin eingeschlafen«, sagte Pitt und schlüpfte hastig in seine Kleidung. Dann stürmte er los und rannte zum Kai.
Fünfzig Meter vor dem Ende des Anlegers wurde er langsamer und blieb dann ratlos und betroffen stehen. Die Fischfangflotte der Haida war bereits gute fünf Kilometer draußen im Kanal. Er war allein und wußte nicht, wohin.
Gegenüber der Dorsettschen Jacht lag ein schwerer Frachter am Kai, der gerade die letzte Ladung löschte. Er drückte sich um die auf großen Holzkufen ruhenden Container herum, die aus den Laderäumen gehievt wurden, mischte sich unter die Schauerleute und versuchte zur Gangway zu gelangen. Er hatte bereits die Hand am Geländer und den Fuß auf der untersten Stufe, doch weiter kam er nicht.
»Stehengeblieben, Fischer«, ertönte unmittelbar hinter ihm eine ruhige Stimme. »Hast wohl dein Boot verpaßt, was?«
Langsam drehte Pitt sich um und erstarrte, während sein Herz einen Takt schneller schlug. Crutcher, dieser Sadist, lehnte an einer Kiste, die eine große Pumpe enthielt, und rauchte lässig einen Zigarrenstumpen. Neben ihm stand ein Wachmann, der die Mündung seines M-1-Sturmgewehrs auf Pitts Leib angelegt hatte. Es war der Posten, den Pitt in Merchants Büro niedergeschlagen hatte. Pitts Puls ging noch schneller, als der schmucke John Merchant höchstpersönlich hinter dem Wachmann hervortrat und ihn mit kaltem Blick musterte, einem Blick, aus dem das ganze Machtbewußtsein des Mannes sprach, der hier Herr über Leben und Tod war.
»Nun denn, Mr. Pitt, Sie sind ein hartnäckiger Mann.«
»Ich hab’ ihn sofort wiedererkannt, als er in den Kleinbus gestie gen ist.« Der Posten grinste genüßlich, trat einen Schritt vor und rammte Pitt den Lauf seiner Waffe in den Bauch. »Ein kleines Dankeschön für den Schlag, den du mir verpaßt hast, als ich nicht drauf vorbereitet war.«
Pitt krümmte sich vor Schmerz zusammen, als sich die Mündung der Waffe tief in seine Flanke bohrte. Er blickte zu dem grinsenden Posten auf und stieß mit zusammengebissenen Zähnen hervor: »Ein Nichtsnutz, wie er im Buche steht.«
Der Posten hob die Waffe und wollte Pitt erneut schlagen, doch Merchant hielt ihn zurück. »Das reicht, Elmo. Du kannst ihn dir vornehmen, nachdem er erklärt hat, weshalb er hier immer wieder einzudringen versucht.« Mit bedauernder Miene schaute er Pitt an.
»Sie müssen Elmo entschuldigen. Er hat instinktiv das Bedürfnis, Leuten weh zu tun, denen er nicht traut.«
Verzweifelt dachte Pitt über eine Fluchtmöglichkeit nach.
Aber es gab keinen Ausweg, es sei denn, er sprang ins eisige Wasser und starb an Unterkühlung, wenn er nicht – was weitaus wahrscheinlicher war – vorher von Elmos Schnellfeuergewehr zu Fischfutter zerschrotet wurde.
»Sie müssen eine lebhafte Phantasie haben, wenn Sie mich für gefährlich halten«, murmelte Pitt, der vor allem Zeit gewinnen wollte.
Merchant nahm sich in aller Ruhe eine Zigarette aus einem Goldetui und zündete sie mit einem dazu passenden Feuerzeug an. »Seit unserer letzten Begegnung habe ich mich genau über Sie erkundigt, Mr. Pitt. Sie als gefährlich zu bezeichnen wäre, gelinde gesagt, eine Untertreibung. Sie sind nicht unbefugt auf das Betriebsgelände von Dorsett Consolidated eingedrungen, um Fische und Seetang zu untersuchen. Sie sind aus einem anderen, zwielichtigeren Grund hier. Ich kann nur hoffen, daß Sie Ihre Anwesenheit erklären können, und zwar plausibel und ohne weitere Hinhaltemanöver und Schauspielerei.«
»Schade, daß ich Sie enttäuschen muß«, stieß Pitt zwischen zwei tieferen Atemzügen hervor. »Aber ich fürchte, Sie werden nicht zu Ihrem miesen Verhör kommen.«
Merchant ließ sich nicht so leicht täuschen. Aber er wußte, daß Pitt kein gemeiner Diamantenschmuggler war. Leicht beunruhigt stellte er fest, daß Pitt offenbar keinerlei Angst hatte.
Er war neugierig, wenn auch etwas nervös. »Ich muß offen zugeben, daß ich mehr von Ihnen erwartet hätte als einen billigen Bluff.«
Pitt blickte suchend zum Himmel auf. »Jeden Moment müßte eine mit Luft-Boden-Raketen bestückte Düsenjägerstaffel vom Flugzeugträger
Nimitz
über uns hinwegdonnern.«
»Ein in Diensten einer obskuren US-Behörde stehender Beamter soll einen Angriff auf kanadischem Boden befehlen können? Das glaube ich
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