Schockwelle
Abreibung, die du auf der Jacht gekriegt hast, und dem tobenden Sturm ist es ein Wunder, daß du nicht im Koma liegst.«
Obwohl die Klingen von Pitts Schweizer Offiziersmesser rasiermesserscharf geschliffen waren, mußte Giordino den Griff mit beiden Händen umklammern und alle Kraft aufbieten, um die zähe Haut am Bauch des Hais aufzuschlitzen. Unter fachkundiger Anleitung durch die Meereszoologin Maeve trennte er die Leber heraus und schnitt den Magen auf, wo er einen unlängst verzehrten Dorado und etliche Heringe fand.
Dann zeigte Maeve ihm, wie er das Fleisch von der Haut schälen mußte, damit möglichst wenig verlorenging.
»Wir sollten die Leber gleich essen«, riet sie. »Die verwest in kürzester Zeit, ist aber der nahrhafteste Teil des Fisches.«
»Was ist mit dem übrigen Fleisch?« fragte Giordino, während er mit Meerwasser den Glibber von seinen Händen spülte und das Messer säuberte. »In der Hitze wird das schnell schlecht.«
»Wir sind auf dem Ozean. Salz gibt’s also genug. Schneide das Fleisch in schmale Streifen und häng sie rund um das Boot auf. Sobald es getrocknet ist, nehmen wir das Salz, das sich auf der Persenning abgelagert hat, und reiben das Fleisch damit ein.
Dann hält es sich länger.«
»Ich konnte Leber schon als Kind nicht ausstehen«, sagte Giordino, dem beim bloßen Gedanken flau im Magen wurde.
»Ich glaub’ ich bin noch nicht so hungrig, daß ich sie roh essen kann.«
»Zwing dich dazu«, sagte Pitt. »Wir müssen so lange wie möglich bei Kräften bleiben. Wir haben bewiesen, daß wir uns mit Nahrung versorgen können. Unser eigentliches Problem ist jetzt der Wassermangel.«
Mit Einbruch der Nacht kehrte eine eigenartige Ruhe ein. Der Halbmond ging auf und schickte einen silbernen Lichtstreifen zum nördlichen Horizont. Sie hörten einen Vogel am sternenübersäten Himmel schreien, konnten ihn aber nicht sehen. Wie in südlichen Breitengraden üblich, wurde es deutlich kälter, sobald die Sonne verschwunden war. Doch die Kühle linderte auch ihren Durst und brachte sie auf andere Gedanken.
Das rhythmische Klatschen der Wellen lullte Maeve ein, die an ihre Kinder dachte und an die glücklichen Zeiten, die sie mit ihnen verbracht hatte. Giordino stellte sich vor, er sitze in seiner Washingtoner Eigentumswohnung auf dem Sofa, habe einen Arm um eine hübsche Frau gelegt, und in der Hand ein eiskaltes Glas Coors, die Füße auf den Couchtisch gestützt, und schaue sich im Fernsehen einen alten Film an.
Pitt war hellwach, nachdem er sich fast den ganzen Nachmittag lang ausgeruht hatte. Er war wieder so weit bei Kräften, daß er sich daran machte, ihren Kurs zu bestimmen und anhand der Wolken, der Höhe und des Verlaufes der Wellen sowie der Farbe des Sonnenuntergangs das Wetter vorherzusagen. Nach Einbruch der Dunkelheit betrachtete er die Sterne und versuchte die ungefähre Position des Bootes zu schätzen. Als er im Stauraum eingeschlossen gewesen war, hatte er seinen Kompaß zu Rate gezogen und festgestellt, daß die Jacht von Wellington aus neunundzwanzig Stunden und vierzig Minuten lang einen steten Kurs von zweihundertvierzig Grad Südwest gehalten hatte. Außerdem erinnerte er sich, daß John Merchant gesagt hatte, die Jacht fahre mit einer Reisegeschwindigkeit von hundertzwanzig Kilometern pro Stunde.
Wenn er Zeit und Geschwindigkeit miteinander multiplizierte, mußten sie ungefähr dreitausendsechshundert Kilometer zurückgelegt haben, ehe man sie aussetzte. Seiner Schätzung nach mußten sie sich mitten in der Tasmansee befinden, irgendwo zwischen der Südküste von Tasmanien und dem unteren Zipfel von Neuseeland.
Aber wie weit hatte sie der Sturm abgetrieben? Das ließ sich nicht einmal annähernd abschätzen. Pitt wußte lediglich, daß der Sturm aus Nordwesten geblasen hatte. In achtundvierzig Stunden konnte er sie ein beachtliches Stück nach Südosten verschlagen haben, weit weg von jedem Festland. Bei früheren Projekten hatte er festgestellt, daß in diesem Teil des Indischen Ozeans eine leichte Südostströmung herrschte und auch der Wind zumeist in diese Richtung blies. Wenn sie irgendwo zwischen dem vierzigsten und dem fünfzigsten Breitengrad dahintrieben, würden sie von der Strömung in die unendliche Weite des Südatlantik getragen werden, wo keinerlei Schiffe verkehrten. Das nächste Land, auf das sie stießen, wenn sie diesen Kurs beibehielten, wäre demnach die Südspitze von Südamerika, fast dreizehntausend Kilometer entfernt.
Er
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