Schockwelle
blickte zum Kreuz des Südens auf, einem Sternbild, das man oberhalb des dreißigsten Grades nördlicher Breite, also etwa in Höhe von Nordafrika und Florida, nicht sehen kann. Seit den Fahrten der Polynesier hatten diese fünf hellen Sterne, die schon im Altertum beschrieben wurden, zahllose Seefahrer und Flieger über die ungeheuren Weiten des Pazifischen Ozeans geleitet. Über eine Million von Quadratkilometern große Wasserwüste mit verstreuten Inseln, die nichts anderes sind als die Gipfel hoher, vom Meeresboden aufragender Berge.
Doch wie er es auch drehte und wendete – selbst mit viel Glück und trotz allem Überlebens willen war die Chance, daß sie je wieder festen Boden unter die Füße bekamen, verschwindend gering.
33
Hiram Yeager tauchte so schnell durch die blauen Tiefen der See, daß das Wasser vorbeihuschte, als flöge er mit einer Düsenmaschine durch getönte Wolken. Er schwamm über scheinbar bodenlose Schluchten hinweg, zwischen mächtigen Bergketten hindurch, die aus nachtschwarzem Abgrund bis hinauf zu dem im Sonnenlicht gleißenden Meeresspiegel ragten.
Eine Landschaft, die unheimlich und wunderschön zugleich war.
Er hatte das Gefühl, er fliege durch die Leere des Weltraums.
Es war Sonntag, und er arbeitete allein im neunten Stock des menschenleeren NUMA-Gebäudes. Nachdem er neun Stunden lang ununterbrochen auf den Computerbildschirm geblickt hatte, lehnte Yeager sich zurück und gönnte seinen müden Augen etwas Ruhe. Er hatte soeben letzte Hand an ein kompliziertes, von ihm entwickeltes Programm gelegt, mit dem sich unter Verwendung von Bildverknüpfungsalgorithmen die Fortpflanzung der Schallwellen unter Wasser dreidimensional darstellen ließ. Mittels Computergrafik, einer einzigartigen Technologie, war er in eine Welt eingedrungen, die vor ihm nur wenige Menschen betreten hatten.
Eine Woche lang hatten Yeager und seine Mitarbeiter gebraucht, bis sie die Ausbreitung der Schallwellen im Meer am Computer nachvollziehen konnten. Sie hatten Spezialrechner eingesetzt, eine umfangreiche Datenbank mit zahllosen Angaben über die Ausbreitung und Geschwindigkeit von Schallwellen in sämtlichen Seegebieten rund um den Pazifik ausgewertet und so eine fotorealistische Simulation erzeugt, anhand derer sich feststellen ließ, wo es zu Konvergenzen kommen würde.
Die Unterwasserbilder liefen in so rascher Folge ab, daß der Eindruck entstand, man bewege sich durch eine dreidimensionale Landschaft. Zur Darstellung des Meeresbodens hatten Yeager und seine Leute Höhenlinienkarten ausgewertet, die anhand der in über dreißig Jahren ozeanographischer Forschung gesammelten Erkenntnisse angelegt worden waren. Es war die hohe Schule der Computersimulation.
Er blickte mit einem Auge zu einer Reihe von Lämpchen, zunächst gelbe, dann orange und schließlich dunkelrote. Anhand der Reihenfolge, in der sie aufblinkten, konnte er feststellen, wie weit er sich einem möglichen Konvergenzpunkt näherte. An einer Digitalanzeige konnte er den Längen- und Breitengrad ablesen. Die Krönung seiner Programmierkunst aber war die dynamische Konvergenzzonendarstellung. Mit ein paar Tastendrucken konnte er auftauchen, die Meeresoberfläche darstellen und Schiffe zeigen, die durch das entsprechende Seegebiet fuhren, sofern ihr Kurs im Computer eingespeichert war.
Das äußerste rote Lämpchen rechts von ihm blinkte, und er gab den Befehl zur Darstellung des Meeresspiegels am Konvergenzpunkt ein. Er hatte mit einer weiten, leeren Wasserfläche gerechnet, doch das Bild, das er am Monitor sah, entsprach ganz und gar nicht seinen Erwartungen. Der Bildschirm zeigte eine üppig grüne Gebirgslandschaft. Er ließ die ganze Simulation noch einmal ablaufen, ausgehend von den vier Punkten rund um den Pazifischen Ozean, die die Minen der Dorsett Consolidated darstellten. Zehn-, zwanzig- und dreißigmal ging er das Programm von Anfang an durch und verfolgte die Schallwellen bis zu der Stelle, an der sie sich schließlich kreuzen mußten.
Als er endlich überzeugt war, daß kein Irrtum vorlag, sackte Yeager müde zusammen und schüttelte den Kopf. »O mein Gott«, murmelte er. »O mein Gott.«
Admiral Sandecker mußte sich zwingen, am Sonntag nicht zu arbeiten. Er war ein absoluter Workaholic. Jeden Morgen rannte er zehn Kilometer und absolvierte nach dem Mittagessen ein leichtes Muskeltraining zum Abbau überschüssiger Energien.
Nachts brauchte er nicht mehr als vier Stunden Schlaf, und tagsüber arbeitete er so lange,
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