Schockwelle
Außenbordmotor anwerfen sollte. Pitt atmete dreimal tief durch, und dann schlug sein Herz ein paar Takte schneller, als Giordino die Anlasserschnur zehnmal durchzog, zwanzigmal und schließlich dreißigmal, aber ohne Erfolg.
Giordino hielt inne, massierte seinen Arm, warf einen vernichtenden Blick auf den alten Motor und redete dann auf ihn ein. »Wenn du beim nächstenmal nicht anspringst, kannst du was erleben. Dann montier’ ich dir sämtliche Schrauben am Kurbelwellengehäuse ab.« Dann packte er wild entschlossen den Griff der Anlasserschnur und zog sie mit aller Kraft durch. Der Motor spuckte und spotzte ein paarmal, ehe er ruhig und gleichmäßig vor sich hin tuckerte. Sichtlich zufrieden wischte sich Giordino den Schweiß von der Stirn. »Wieder mal ein Beweis für Giordinos Gesetz«, sagte er, um Atem ringend.
»Insgeheim hat jedes technische Gerät Angst vor dem Verschrotten.«
Nun, da Giordino das Boot per Außenbordmotor steuerte, holte Pitt die Segel ein und trug den Drachen aus der Kajüte.
Gekonnt legte er eine Rolle Tau auf dem Deck aus, band sie an den Drachen und befestigte knapp unterhalb des Knotens den kleinen Wurfhaken, den er unter Rodney Yorks Habseligkeiten gefunden hatte. Dann setzte er sich hin und wartete. Er wußte nur zu genau, wie verschwindend gering die Chance war, daß sein Vorhaben ge lang.
»Mehr nach Backbord!« rief Maeve und deutete nach links.
»Etwa fünfzig Meter voraus ragen spitze Felsen auf.«
»Gehe nach Backbord«, bestätigte Giordino und zog den Steuergriff des Außenborders auf sich zu, worauf der Bug um etwa zwanzig Grad in Richtung Küste drehte. Er ließ die von weißer Gischt umspülten schwarzen Felsspitzen nicht aus den Augen, bis sie ungefährdet daran vorbei waren.
»Schon irgendwas gesehen, Maeve?« fragte Pitt.
»Ich bin mir nicht sicher. Ich mußte die verdammte Bucht noch nie bei Dunkelheit suchen«, erwiderte sie gereizt.
Pitt musterte die Wellen. Sie waren jetzt höher und folgten dichter aufeinander. »Der Meeresboden steigt an. Noch dreißig Meter, dann müssen wir wenden.«
»Nein, nein«, versetzte Maeve aufgeregt. »Ich glaube, ich sehe den Spalt in der Klippe. Ganz bestimmt. Das ist die Einfahrt zu dem breiten Stück Strand.«
»Wie weit noch?« fragte Pitt.
»Sechzig bis siebzig Meter«, antwortete sie, kniete sich auf und deutete auf die Klippen.
Dann sah es auch Pitt. Ein senkrechter, dunkler Streifen, in den kein Mondlicht fiel – eine Öffnung in der Felswand. Pitt leckte seinen Finger ab und hielt ihn in den Wind. Er blies stetig aus Osten. »Noch zehn Minuten«, betete er leise vor sich in.
»Nur zehn Minuten, mehr brauch’ ich nicht.« Er wandte sich an Giordino.
»Al, kannst du dafür sorgen, daß wir etwa zwanzig Meter vor der Einfahrt stehenbleiben?«
»Wird in der Strömung nicht einfach werden.«
»Streng dich an.« Er drehte sich zu Maeve um. »Nimm die Pinne und halte den Bug genau in Wellenrichtung. Ihr beide müßt unter allen Umständen verhindern, daß das Boot quer abdreht.«
Pitt entfaltete seinen Drachen und setzte die Stützstreben ein.
In voller Größe maß das Gebilde aus Rodney Yorks altem Dacron-Segel fast zweieinhalb Meter. Er hielt ihn über die Bordwand und ließ ihn aus den Händen gleiten, während der Wind ihn erfaßte und die Bespannung durchwölbte. Langsam wickelte er die Leine ab, als der Drachen immer höher in den noch dunklen Morgenhimmel stieg.
Maeve begriff jetzt, welch genialen Plan Pitt sich ersonnen hatte.
»Der Wurfhaken«, stieß sie aus. »Du willst ihn oben auf den Klippen verankern und an dem Tau hochklettern.«
»So war’s gedacht«, erwiderte er, ohne den Drachen aus den Augen zu lassen, der im fahlen Mondlicht kaum mehr zu erkennen war.
Giordino spielte unterdessen geschickt mit dem Gas, schaltete zwischen Vor- und Rückwärtsgang hin und her und sorgte dafür, daß sich das Boot keinen Meter von der Stelle rührte. Er sagte kein Wort, hob nicht einmal den Blick, um zu verfolgen, was Pitt trieb.
Pitt betete darum, daß der Wind halten möge, und seine Bitte wurde ihm tausendfach erfüllt. Die landeinwärts wehende Brise traf auf die Felsenwände, wodurch eine derart starke Aufdrift entstand, daß ihm der große Drachen beinahe aus den Händen gerissen wurde. Er benutzte einen Ärmel seiner abgewetzten Lederjacke als Schutzhandschuh, damit er sich an der abspulenden Leine nicht die Finger verbrannte. Die Zugkraft war so gewaltig, daß ihm fast die Arme ausgekugelt
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