Schockwelle
traktiert. Er war ziemlich flott vorangekommen, wenn man bedachte, wie zerklüftet der Fels war. Ohne Sicherungsseil wäre der Aufstieg allerdings unmöglich gewesen. Und selbst mit der entsprechenden Ausrüstung hätte er sich in der Dunkelheit mühsam Meter um Meter vorarbeiten, festen Stand suchen, Wandhaken einschlagen und Sicherungsseile anbringen müssen, so daß die Kletterpartie gut und gerne sechs Stunden in Anspruch genommen hätte.
Eine Minute rasten, mehr nicht, dann hangelte er sich weiter am Seil hinauf. Müde war er, doch er zog sich mit aller Kraft nach oben, stützte sich mit den Füßen an den Überhängen ab und nutzte jeden Felsvorsprung. Längst waren seine Hände wund und von dem dünnen Nylonseil aus Rodney Yorks Boot aufgeschürft. Genauge nommen war es kaum stark genug für sein Gewicht. Aber viel stärker durfte es nicht sein, sonst wäre es zu schwer gewesen, und der Drachen hätte den Wurfhaken nicht auf die oberste Felsspitze befördern können.
Er pausierte kurz und blickte zum letzten Überhang hinauf, der sich dunkel vor dem Sternenhimmel abzeichnete. Fünf Meter, schätzte er, nur noch fünf Meter. Jeder Atemzug bereitete ihm Schmerzen, Brust und Arme taten ihm weh, weil er in der Dunkelheit immer wieder an Felsvorsprüngen entlanggeschrammt war. Er war am Ende seiner Kräfte. Doch er bot seinen ganzen Willen auf und nahm die letzten Meter in Angriff. Jetzt durfte er nicht mehr lockerlassen, mußte weitermachen, hart und unerbittlich sein wie der Fels, an dem er hochkletterte, bis es nicht mehr höher ging.
Dann hatte er plötzlich ebenen Boden vor Augen, und er wußte, daß er oben war. Er stemmte sich über die Kante, blieb dann flach am Boden liegen und horchte auf seinen Herzschlag und seine keuchende Lunge, während er tief ein- und ausatmete.
Giordino, heilfroh, daß er die Schinderei hinter sich hatte, rührte sich die nächsten drei Minuten nicht von der Stelle. Dann erkundete er die unmittelbare Umgebung und stellte fest, daß er quer über einem Fußweg lag, der am Rand der Klippen entlangführte. Ein paar Schritte dahinter ragten düster und drohend Bäume und Gestrüpp auf. Als er nirgendwo ein Licht oder eine Bewegung sah, stand er auf und ging der Leine nach, bis er auf den Wurfhaken stieß, der fest im Fels verankert war.
Pitts Irrsinnsidee hatte unglaublich gut funktioniert.
Nachdem er sich davon überzeugt hatte, daß sich der Haken nicht lösen konnte, stand er auf. Er band den Drachen los, versteckte ihn im dichten Gebüsch auf der anderen Seite des Weges, kehrte dann zum Klippenrand zurück und zog zweimal kräftig an dem Seil, das in der Dunkelheit verschwand.
Tief unter ihm wandte sich Pitt an Maeve. »Du bist dran.«
»Ich weiß nicht, ob ich das bringe«, sagte sie nervös. »Ich habe Höhenangst.«
Er verknotete das untere Seilende zu einer Schlinge, streifte sie über ihre Schulter und zog sie um die Taille fest. »Halt dich am Seil fest, leg dich mit dem Oberkörper zurück und lauf einfach am Fels hoch. Al zieht dich von oben.«
Dann erwiderte er Giordinos Zeichen und ruckte dreimal an der Leine. Maeve spürte, wie sich das Seil straffte und ihre Taille einschnürte. Sie kniff die Augen zusammen und fing an, wie eine Fliege an der steilen Klippenwand emporzulaufen.
Giordino, dessen Arme zu taub waren, als daß er Maeve mit den Händen hätte hochziehen können, hatte unterdessen eine einigermaßen glatte Fels ritze entdeckt, an der die Nylonfasern weder beschädigt noch durchgescheuert werden konnten. Er fädelte die Leine ein und legte sie sich über die Schulter. Dann beugte er sich vornüber, schleppte sich über den Fußweg und zog Maeve an der Klippe empor.
Zwölf Minuten später stemmte sich Maeve, immer noch mit geschlossenen Augen, über den Klippenrand. »Willkommen auf dem Matterhorn«, begrüßte Giordino sie.
»Gott sei Dank. Das hab’ ich hinter mir«, ächzte sie erleichtert und öffnete zum erstenmal die Augen, seit sie vom Strand aus losgeklettert war. »Ich glaube nicht, daß ich das noch mal fertigbringe.«
Giordino band Maeve los. »Du hältst Wache, während ich Dirk hochziehe. An den Klippen entlang nach Norden kann man ziemlich weit sehen, aber etwa fünfzig Meter nach Süden wird der Weg von einer Gruppe großer Felsen verdeckt.«
»Die kenne ich«, sagte Maeve. »Sie sind innen hohl und bilden eine Art natürlichen Schutzwall. Meine Schwester Deirdre und ich haben dort immer gespielt und uns vorgestellt, wir wären
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