Schockwelle
normalerweise nie um ein freundliches Lächeln verlegen war, hockte mit versteinerter Miene da und drückte nur noch fester zu.
Dann bäumte sich Boudicca ein letztes Mal mit aller Kraft auf, wurde dann steif und erschlaffte schließlich.
Giordino zog die riesige Frau hoch, ohne die Hände von ihrem Hals zu nehmen, und legte sie quer über den Schreibtisch.
Gespannt und erschrocken zugleich sah Maeve zu, als Giordino den Seidenumhang von Boudiccas Leib fetzte. Dann schrie sie auf und wandte sich angewidert ab.
»Mann, du hast es auf den Punkt getroffen«, sagte Pitt, der nur mühsam begreifen konnte, was er da erblickte.
Giordino, dessen Augen kalt und unnahbar wirkten, legte den Kopf leicht zur Seite. »Mir war das auf Anhieb klar, als sie mir auf der Jacht den Schwinger verpaßt hat.«
»Wir müssen los. Die ganze Insel wird in Rauch und Asche aufgehen.«
»Wie bitte?« fragte Giordino verständnislos.
»Alles Weitere erzähl’ ich dir später.« Pitt wandte sich an Maeve. »Was für Fahrzeuge gibt’s hier auf dem Anwesen?«
»In der Garage neben dem Haus stehen zwei Kleinwagen, die Papa benutzt – benutzt hat, um zu den Minen zu fahren.«
Pitt nahm einen der kleinen Jungs in die Arme. »Welcher bist du?«
»Michael«, murmelte der Junge, der ängstlich Pitts blutüberströmtes Gesichts betrachtete. Er deutete auf seinen Bruder, den jetzt Giordino unter seine Fittiche genommen hatte.
»Das ist Sean.«
»Schon mal mit einem Hubschrauber geflogen, Michael?«
»Nein, aber ich wollte es schon immer mal.«
»Dein Wunsch wird in Erfüllung gehen.« Pitt lachte.
Maeve eilte zur Tür, drehte sich noch einmal um und warf einen letzten Blick auf ihren Vater und Boudicca, die sie stets für ihre Schwester gehalten hatte, eine ältere Schwester zwar, die ihr stets fremd geblieben war, zumal sie sich ihr gegenüber fast immer feindselig verhalten hatte, aber nichtsdestotrotz eine Schwester. Ihr Vater hatte das Geheimnis gut gewahrt, er hatte die Schande ertragen und dafür gesorgt, daß die Außenwelt nichts davon erfuhr. Um so erschütterter war sie jetzt, als sie nach all den Jahren feststellen mußte, daß Boudicca ein Mann war.
55
In der an das Herrenhaus angrenzenden Garage fanden sie die Fahrzeuge, zwei hellgelb gespritzte, in Australien hergestellte Kleinwagen vom Typ Holden, die Dorsett für seine Rundreisen auf der Insel Benutzt hatte. Es waren Spezialanfertigungen, deren Türen abmontiert waren, damit man leichter ein- und aussteigen konnte. Pitt war dem verblichenen Arthur Dorsett unendlich dankbar dafür, daß er am ersten der beiden Wagen den Zündschlüssel hatte steckenlassen. Rasch stiegen sie alle ein, Pitt und Giordino vorn und Maeve mit den Kindern hinten.
Der Motor sprang sofort an, worauf Pitt zum Schaltknüppel griff und den ersten Gang einlegte. Er trat das Gaspedal durch, ließ die Kupplung kommen und fuhr los.
An der großen, steinernen Durchfahrt sprang Giordino ab und öffnete das Tor. Sie waren kaum auf der Straße, als ihnen ein offener, allradgetriebener Transporter voller Wachmänner entgegenkam.
Das mußte ja so kommen, dachte Pitt. Offenbar hat jemand Alarm geschlagen. Dann wurde ihm klar, daß es sich lediglich um die Wachablösung handelte. Jeden Moment würden die gefesselt vor den Videomonitoren sitzenden Posten im Wachhäuschen am Torbogen aus ihrer mißlichen Lage befreit werden.
»Alle winken und lächeln«, kommandierte Pitt. »Damit wir wie eine große, glückliche Familie wirken.«
Der Transporter wurde langsamer, und der uniformierte Fahrer warf einen neugierigen Blick auf die Insassen des Holden, nickte dann und salutierte. Er war sich zwar nicht sicher, ob er jemanden kannte, nahm aber an, daß es sich um Gäste der Dorsetts handelte. Als der Transporter am Torbogen hielt, gab Pitt Vollgas und raste mit dem Holden auf den in die Lagune hinausragenden Kai zu.
»Sie haben’s geschluckt«, sagte Giordino.
Pitt lächelte. »Aber nur so lange, bis sie dahinterkommen, daß die Jungs von der Nachtschicht nicht aus Langeweile eingeschlafen sind.«
Er bog von der Hauptstraße ab, die zu den beiden Minen führte, und hielt auf die Lagune zu. Jetzt ging es gradewegs hinunter zum Hafen. Kein Personenwagen oder Laster verstellte ihnen den Weg zur Jacht. Pitt schaute nicht auf die Uhr, aber er wußte, daß ihnen allenfalls noch vier, fünf Minuten bis zu der von Sandecker angekündigten Katastrophe blieben.
»Sie kommen hinter uns her!« rief Maeve erschrocken.
Pitt
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