Schön scheußlich
Männern oder frigiden Frauen helfen kann, deren Probleme nicht auf die freiwillige Einnahme eines Libido unterdrückenden Präparats zurückzuführen sind.
So nagelneu und überraschend die neueste Forschung auch erscheinen mag, eigentlich war Oxytozin eines der ersten Neuropeptide oder Gehirnhormone, die im Detail beschrieben wurden. Entdeckt wurde es im Jahr 1903; seine Zusammensetzung kennt man seit 1950. Es ist ein kleines Peptid aus nur neun Aminosäurebausteinen, und dieser Umstand ist ausschlaggebend dafür, dass es so gut das Gehirn passieren und ins Blut gelangen kann. Bis vor kurzem jedoch blieben Untersuchungen an diesem Hormon im Großen und Ganzen auf dessen Rolle bei Gebärmutterkontraktionen und der Muttermilchproduktion beschränkt. Man sah es unter rein pragmatischen, klinischen Gesichtspunkten und stellte es im Labor synthetisch her, um daraus Medikamente zu entwickeln, mit denen man die Geburt einleiten und einer Wehenschwäche entgegenwirken kann.
Doch die Hinweise auf eine komplexere Rolle des Oxytozins häuften sich. Zum einen wussten Wissenschaftler schon länger, dass dieses Hormon auch bei Männern in erheblichen Konzentrationen zu finden ist, ein merkwürdiger Umstand bei einem vermeintlichen Geburtshormon. Zum anderen fanden sich bei evolutionsgeschichtlich sehr alten Lebewesen wie primitiven Fischen dem Oxytozin nahe verwandte Peptide, und solche Nichtsäuger benötigen eindeutig kein Oxytozin für die Wehentätigkeit oder zum Stillen. Von höchster Bedeutung ist aber, dass das in den letzten Jahren entwickelte experimentelle Instrumentarium die Wissenschaftler nunmehr in die Lage versetzt, die Verteilung der Rezeptoren für Oxytozin im Gehirn sehr genau zu analysieren. Oxytozinrezeptoren sind Proteine auf der Oberfläche von Gehirnzellen, die in der Lage sind, das kleine Peptid zu binden und das Gehirn zu einer Reaktion zu veranlassen.
Durch die Kartierung der Rezeptorverteilung haben Wissenschaftler herausgefunden, dass die Wirkung des Oxytozins auf das Gehirn breit gefächert ist, und man hat begonnen, eine Vorstellung davon zu entwickeln, welche Regionen besonders empfindlich auf das Peptidsignal reagieren. Besonders gehäuft finden sich Rezeptoren in den Teilen des Gehirns, die mit dem Sehen und dem Riechen assoziiert sind sowie mit dem endokrinen System und der Kontrolle des Eisprungs. Eine besonders rezeptorreiche Gehirnregion ist der Nucleus ventromedialis, der bekanntermaßen an einer Reihe von sexuellen und mit der Fortpflanzung verbundenen Verhaltensweisen beteiligt ist.
Doch wie alles im Leben kommt und geht, so schwankt auch die Anzahl der Oxytozinrezeptoren innerhalb einer Region, wobei sie dem Rhythmus der Sexualhormone gehorcht, die wiederum ihren eigenen Gezeiten unterliegen. Bei Ratten schnellt die Anzahl der Rezeptoren im ventromedialen Hirnbereich zum Beispiel während des Eisprungs, das heißt, wenn der Östrogenspiegel am höchsten ist, auf hundert Prozent. Je mehr Rezeptoren verfügbar sind, desto empfänglicher reagiert das Gehirn auf das zirkulierende Oxytozin und regt so seinerseits den Körper an, sich so zu verhalten, wie er soll. Im Fall der ovulierenden Ratte heißt das, dass sie plötzlich den überwältigenden Drang spüren wird, sich vor ein Männchen hinzukauern und ihre Genitalien zur Schau zu stellen. Man nennt diese Haltung Lordose, und sie gehört bei Nagern zum Vorspiel der Paarung.
Bei der Oxytozin-Signalübertragung scheint der richtige Zeitpunkt alles zu sein. Unter bestimmten Umständen können Injektionen des Hormons Ratten-und Affenmännchen zur Erektion bringen und dazu veranlassen, das nächstbeste Weibchen zu besteigen. Unter anderen Umständen bringt eine Hormoninjektion ein Rattenmännchen dazu, sich von einer potenziellen Partnerin abzuwenden - nicht, weil es eine Aversion gegen Sex hätte, sondern weil das Hormon ihm das Gefühl gibt, bereits befriedigt zu sein. Oxytozinrezeptoren durchsetzen nämlich auch Gehirnregionen, von denen man weiß, dass sie an dem Gefühl sexueller Befriedigung nach einem Orgasmus beteiligt sind.
Komplexität und Vielseitigkeit der Oxytozinwirkung unterstreichen, wie schmal der Grad zwischen zwei Annehmlichkeiten des Lebens, zwischen Erregung und Befriedigung, dem Drang, zu kuscheln und zu sorgen, und dem Verlangen nach Sex ist. Mütter haben darüber berichtet, dass sie sich beim Stillen ihres Kindes sexuell stimuliert fühlen. Es ist durchaus möglich, dass das zur Milchfreisetzung ausgeschüttete
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